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migrating sounds in and out of europe
Globalisierung und kulturelle Vielfalt
Strategien und Standorte der Popkulturen
28.04.2003
Popdeurope
Globalisierung, Identität, Jugendliche, Metropole, Multikulturalität, Popkultur, Rassismus, Ritual, Subkultur, Tradition
Das Bollywood-Phänomen
Vögel, dürstend nach Freude und Freiheit
Goodbye Manu Chao, hello Scorpions?

Eine wirtschaftliche und kulturelle Globalisierung bedeutet für die Musikkulturen und -traditionen nicht zwangsläufig eine weltweite Gleichschaltung unter der Vorherrschaft transnational agierender Entertainmentunternehmen. Nicht Homogenisierung, sondern lokale Varianten und Besonderheiten bestimmen heutzutage das Bild musikalischer Landkarten, so ein Statement von Susanne Binas vom Forschungszentrum für Popularmusik an der Humboldt-Universität Berlin.

Im Zuge der europäischen Einigungsbestrebungen gibt es wohl kaum einen Begriff, der dort, wo über kulturelle Perspektiven des Kontinents nachgedacht wird, häufiger benutzt wird, als der der kulturellen Vielfalt. Die Verteidigung bzw. Erhaltung von kultureller Vielfalt nach außen und nach innen sei das einzige Mittel, imperialen Bestrebungen und der strukturellen Gleichschaltung globalisierter Märkte etwas entgegen zu setzen.
Für Argumentationen dieser Art müssen sowohl in kulturpolitischen als auch in akademischen Debatten immer auch die millionenfach in der Welt verkauften Superstars der Popindustrie herhalten, die ob der enormen Wettbewerbsstärke global agierender Entertainmentunternehmen dem lokalen Repertoire und den regional bedeutsamen Formen populärer Musik den Zugang zum interessierten Publikum versperren würden.
Im Zuge dieser Verdrängungskämpfe würde authentisches Material aus dem kulturellen Schatz gestrichen und schließlich v.a. auch das Bewußtsein über eigene Traditionen und deren Bedeutung getilgt. Effiziente Märkte seien diejenigen, die aufgrund ihres beträchtlichen Zentralisierungsgrades dafür sorgten, dass weltweit die immer gleiche Musik an willfährige Objekte verkauft wird, die ob ihres mangelnden Verständnisses für ‘gute Musik’ gnadenlos dem Profitinteresse und Konsumterror der Musikindustrie ausgeliefert seien und angesichts der geschickten Marketingstrategien ihrer eigenen Identität tendenziell fremd gegenüberstehen.

Nun, man wäre tatsächlich blind, würde man nicht sehen, dass sich mit der Musikindustrie - die ihre ökonomischen Voraussetzungen in den westlichen Gesellschaften hat - eine Branche entwickelt hat, die hochgradig integriert, global organisiert, weltweit äußerst umsatzstark und also weitestgehend marktbeherrschend ist. Die Global Player des Musikgeschäftes produzierten zusammen im Jahr 2001 allein 91 % der in den Top 100 Longplay Charts gelisteten Titel. McDonaldisierung pur, möchte man da behaupten; bzw. nur da, wo Vielfalt keine Rolle spielt, seien Märkte effizient und sorgen für kulturelle Gleichschaltung. Zugegebenermaßen, ich spitze zu. Bei genauerer Besichtigung der Realität entpuppt sich jedoch manche Gewissheit als Mythos, als Ideologie.

So wie es zum Jargon neoliberaler Globalisierungsstrategen gehört, den Standort zum Dreh- und Angelpunkt aller ihrer wirtschaftlichen Entscheidungen und politischen Lobbyarbeit zu machen, gehört es wohl eher in den Bereich der Mythen, dass Globalisierung ausschließlich zur kulturellen Einfalt und Gleichförmigkeit führe.

Gibt es denn heutzutage wirklich noch Massenmärkte? Existieren klare Vorstellungen darüber, was kulturelle Traditionen sind, was kulturelle Vielfalt ist? Welche Vorstellungen von Kultur werden eigentlich propagiert und reproduziert, wenn die UNESCO v.a. traditionelle Handwerkstechniken schützen möchte oder wenn Teile der deutschen Theaterlobby kürzlich eine Initiative starteten, die deutsche Theaterlandschaft als Weltkulturerbe bei der UNESCO schützen zu lassen? Welcher Begriff von Ethnien oder Traditionen schwebt denjenigen vor, die z.B. Aborigine-Bands vorwerfen, sie würden zugunsten ihrer Popularität politisches Bewußtsein und den authentischen Bezug zu ihren Traditionen aufgeben? Ein Didjeridu müsse aus Eukalyptus und dürfe nicht aus Plastik sein. Wir wollen kein Museumsstück sein - konterte der Bandleader von ‘Yothu Yindi’. Eine Textpassage der ‘Asian Dub Foundation’ könnte es wohl nicht besser auf den Punkt bringen: "We ain’t ethnic, exotic or eclectic. The only E we use is electric ... With your liberal minds, patronise our culture ... With your tourist mentality, we’re still the natives. You’re multicultural, we’re antiracist".

Längst wird prominent diskutiert, dass Phänomene wie die sogenannte Kreolisierung, Transkulturation, die wechselseitige Durchdringung unterschiedlicher kultureller Systeme oder die lokal höchst unterschiedliche Interpretation globaler Waren zu einer ganz wichtigen Voraussetzung popmusikalischer Diskurse geworden sind. Nicht Homogenisierung, sondern lokale Varianten und Besonderheiten bestimmten heutzutage das Bild musikalischer Landkarten. Denn die Produktion, Verbreitung und Kommunikation von Musik gestaltet sich höchst komplex und die kulturkritischen Vorwürfe von Zentralisierung, Homogenisierung und Manipulation sind immer nur sehr begrenzt wirksam und nachweisbar. Die deutschen Longplay-Charts sind eben auch nur eine Facette des um einiges vielschichtigeren Musikprozesses. Ein kleines oder mittelgroßes Label kann in einer musikalischen Nische durchaus sehr erfolgreich sein. Die Spezialisierung auf eigenwillige Interessen muß noch lange nicht effizientes Wirtschaften ausschließen. Ganz im Gegenteil. In bestimmten lokalen Zusammenhängen - die heutzutage immer auch global verankert sind und umgekehrt - haben seit dem Ende der 1980er Jahre kleinere Unternehmensstrukturen im Musikbereich immer wieder gezeigt, dass sich Effizienz und Vielfalt nicht ausschließen müssen, v.a. dann, wenn bewußt mit den lokalen Zusammenhängen und musikkulturellen Präferenzen der konkreten Nachfrage umgegangen wird (z.B. im Kontext der elektronischen Popmusik). Sicher, das Spektrum reicht dann - ohne dies hier bewerten zu wollen - von touristischen Projektionen bis hin zur deutlichen Ablehnung ethnischer Stereotypisierungen, von Differenzausbeutung bis zu lokalen Fundamentalismen. Selbst die sogenannten ‘großen’ der Branche sind v.a. dann erfolgreich, wenn sie genau das Gegenteil von dem praktizieren, was ihnen vorgeworfen wird; sie agieren dezentral, fokussiert und reagieren auf die Diversifikation von Märkten. Das sind Wettbewerbsstrategien, die es ihnen z.B. ermöglichen, Fuß in lokalen Märkten zu fassen.

Der Umgang mit den sehr verschiedenen Formen populärer Musik - und davon legt der Veranstaltungsalltag und die Bedeutsamkeit lokaler Radiostationen ein beredtes Zeugnis ab - ist immer eine konkrete Praxis kulturell lokal disponierter Gemeinschaften; konkreter Sehnsüchte, Probleme und Handlungsmuster. Der Erfolg - und ich meine den kulturellen und den kommerziellen - wird oftmals durch nichts so sehr gespeist, wie durch das Image von Identitäten, durch die Poesie des Lokalen - wie urban auch immer sie geprägt sei, durch Authentizität und Nähe. Diese wiederum sind in diesen bewegten Zeiten niemals von dauerhafter Konsistenz, sie verändern sich ständig - nicht nur die Positionen im sozialen oder regional marktierten Raum, sondern in ihren Bedeutungen überhaupt.

"There is no such thing as a culturally pure one" - notierte einmal der bekannte britische Popmusikforscher Simon Frith. Eine Wahrheit, die nicht erst das 20. Jahrhundert treffend umschreibt, seit mediale Technologien und ihre Institutionen (TV, Radio oder Musikindustrie) für eine fast grenzenlose Verfügbarkeit sorgen. Nebeneinander existieren eine Fülle von Vorstellungen darüber, was ‘gute Musik’ ist, eingebettet in das entsprechende Set aus infrastrukturellen Voraussetzungen (z.B. Clubs, Agenturen, Labels, Künstlern und Diskursen).

Eine Stadt wie Berlin bietet ein bizarres Szenario dieser vielfältigen Prspektiven. Ob ‘Karneval der Kulturen’, Arena, Tresor, Radio Fritz oder Radio Multikulti, eine kleine Bar im Friedrichshain, das Label 'kitty yo' oder die Universal Music Group, Salsatheken oder Transatlantico. Noch nie - würde ich behaupten wollen - waren die Möglichkeiten, unterschiedliche Sounds zu praktizieren bzw. kennenzulernen, so groß wie heute. Kulturelle Vielfalt, Distanzen, Nähe und Vermischung gehen dabei eine komplizierte Allianz ein, auch ökonomisch.

Es macht eben keinen Sinn mehr, auf der einen Seite von den Global Playern und auf der anderen von den kleinen Indies zu sprechen. Längst sind sie auf verschiedenen Ebenen Allianzen eingegangen, ob im Vertriebszusammenhang oder im Lizenzgeschäft.
Groß und klein, ökonomisch effizient und kulturell vielfältig, populär und authentisch, schwarz und weiß bzw. weiß und schwarz schließen sich nicht zwangsläufig aus.

Wer kulturelle Vielfalt will, der sollte v.a. den permanenten Veränderungen dessen, was unter Vielfalt verstanden werden kann, eine Chance geben.

Susanne Binas (05.05.02)