Ihr Ausgang liegt in der Geschichte der "Middle Passage", der Verschleppung von Millionen Menschen als Sklaven in die "Neue Welt", die bis heute maßgeblich die Gestaltung von Lebensrealitäten, die Ausformung von Wissens- und Kunstdiskursen beeinflussten oder überhaupt erst erzeugten. Geprägt wurde der titelgebende Begriff von dem britischen Soziologen und Kulturwissenschaftler Paul Gilroy, mit dem das Haus der Kulturen der Welt die Gesamtkonzeption des Projekts entwickelt hat, unter Zusammenarbeit mit der Historikerin Fatima El-Tayeb, und der auf Women Studies konzentrierten Wissenschaftlerin Tina Campt. Black Atlantic beschreibt keine eindeutig abzugrenzende Region oder eine bestimmte Periode, sondern einen mehrdimensionalen, transkulturellen Raum, der durch Bewegung bestimmt ist. Paul Gilroy versteht diesen Atlantik als einen negativen Kontinent, der es ermöglicht, soziale, historische und kulturelle Verbindungslinien zwischen den Amerikas, Afrika und West-Europa aufzuspüren. Hintergrund für das Projekt Black Atlantic ist die Frage, wie die diasporale Geschichte des Leids Kunst und Wissen herausfordert(e) neue Formen zu finden. Das Projekt erkundet die künstlerische Umsetzung dieser Suche und die Bedeutung der Kunst für die vielfältigen Bezugssysteme. Verschleppung, Verstreuung und die kollektiven wie individuellen Traumata haben Künstler dazu herausgefordert und inspiriert, neue ästhetische Techniken und Strategien zu entwickeln. Auch wenn sie von großer Bedeutung sind, stellen etwa geschriebene Texte nicht den beherrschenden Motor der wandernden Kulturen des Black Atlantic dar: Das geschriebene Wort war Sklaven auf Todesstrafe verboten, weshalb musikalischer Ausdruck eine zentrale Stellung erlangte. So hat Musik auch anderes künstlerisches Schaffen stark beeinflusst. Mit den Geschichten um den "Sound" und das "Sounding" des Black Atlantic verflechten sich Traditionen visueller Kultur, die mit der Grenze des Sichtbaren ebenso spielen wie mit literarischen Ausdrucksweisen, die um die Grenzen des Sagbaren wissen. Diese "Künste der Dunkelheit" lassen sich als starke Gegenkultur der westlichen Moderne verstehen. Das Projekt Black Atlantic hat auch das Ziel, gängige Ideen von Moderne zu hinterfragen und eine "Gegen-Geschichte" zur westlichen Geschichtsschreibung zu entwerfen: Wie etwa steht es um die "Modernität" von Institutionen wie dem Sklavengefängnis und der Plantage? Es geht von der These aus, dass zentrale Konflikte der Moderne zurückzuführen sind auf den Sklavenhandel und den Anfang der kolonialen Ausbreitung Europas. So spielt auch deutsche koloniale Geschichte eine zentrale Rolle in der Entwicklung des Black Atlantic Projekts, ebenso wie die Geschichte Schwarzer Präsenz in Deutschland und in Berlin. Warum etwa ist die Geschichte von Schwarzen in dieser Stadt kaum dokumentiert, obwohl sie Schauplatz einer der größten Konferenzen zur geopolitischen Gestaltung kolonialer Territorien war? Black Atlantic wirft die Frage auf, wie Deutschland sich mit seiner verdrängten kolonialen Geschichte auseinandersetzt und weiter auseinandersetzen könnte. Das Programm ist unterteilt in drei inhaltliche Schwerpunkte:
Plattform I: 17.09.-26.09.2004 EINE ANDERE GESCHICHTE Gedächtnis, Körpererinnerung, Geschichtsbegriffe Mit einem neuen Performance-Projekt des Tänzers und Choreographen Ismael Ivo, das sich in mehreren Vorstellungen jeweils neu entwickelt. - Verknüpft mit einem Symposium zu Denken, Schaffen und Leben des afroamerikanischen Soziologen und Philosophen W.E.B Du Bois, und Vortrags- und Diskussions-Runden zu einem kritischen Geschichts-Begriff (Fokus: Deutsche Kolonialgeschichte, Schwarze Deutsche Geschichte) Plattform II: 15.10.-23.10.2004 CONGO SQUARE Musik, Widerstand, Begegnung
Eine Konzertreihe kuratiert durch den Musiker Jean-Paul Bourelly. - Verknüpft mit Symposien und Podiumsdiskussionen zur widerständigen Bedeutung von Musik, der Geschichte des Jazz und der Bedeutung von neuen Technologien in der Musik. Plattform III: 11.11.?14.11.2004
EINE ANDERE MODERNE Menschenrechte und Terror Vorträge, Diskussionen und literarische Stimmen sowie filmische Beiträge zu den Effekten imperialer und kolonialer Strukturen auf politisches Handeln und gesellschaftliche Diskurse des heutigen Europa.
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