An den beiden Veranstaltungs-Wochenenden begegnen sich Sufimusiker aus dem Iran und Mönche des Tôdai-ji-Klosters aus Nara/Japan oder das Ensemble um Lotfi Bouchnak aus Tunesien und tibetische Mönche des Tashi Dhargye Klosters in Indien. Aufgeklärte und ästhetisch vollendete Traditionen des Islam treten in einen Dialog mit Zentren der buddhistischen Kunst. Marina Abramovic, die sich in ihren Performances intensiv mit dem Ritual in zeitgenössischer Rezeption beschäftigt hat, inszenierte für das Festival. Herausragende Künstler loten hier also die Dimensionen spiritueller Erfahrung aus, teilen sie mit dem Publikum und stellen damit einen Kontext der interkulturellen Begegnung her. In der westlichen Welt ist Religion als verbindliche Lebenspraxis weitgehend aus dem öffentlichen Leben verdrängt. An die Stelle einer gesellschaftlich verankerten religiösen Ordnung sind aber vielfältige neureligiöse Formen getreten, die zeigen, dass mit der Säkularisierung ein Sinnvakuum entstanden ist, das Wissenschaft und Markt nicht ausfüllen können. Die derzeit oft thematisierte Renaissance der Religion erleben wir auf zwei Schauplätzen: Einerseits in einer dogmatisch geprägten Rückbesinnung auf Religion als kultureller Abgrenzung. Das viel beschriebene Szenario vom Kampf der Kulturen basiert vorwiegend auf solchen religiösen Abgrenzungen von Kulturkreisen, so immer wieder zwischen islamischer und christlicher Welt. Der andere Schauplatz der Wiederkehr religiöser Themen ist die westliche Gesellschaft selbst. Die als neureligiös beschriebene Wiederkehr der Religion ist stark individualisiert und verbindet das Religiöse mit einem seiner zentralen Ursprünge, mit der persönlichen religiösen ERFAHRUNG. Diesen Aspekt der Erfahrung hat der Philosoph Charles Taylor exemplarisch herausgearbeitet. Er greift dabei auf William James wegweisende Unterscheidung aus dem späten 19ten Jahrhundert zurück zwischen lebendiger religiöser Erfahrung, die eine individuelle Erfahrung ist, und dem religiösen Leben, das davon abgeleitet ist, weil es unter der Regie einer Religionsgemeinschaft oder Kirche stattfindet. (Charles Taylor, Die Formen des Religiösen in der Gegenwart, 2002) In diesem Kontext der religiösen Erfahrung, des Erlebnisses, verorten wir das Festival of Sacred Music. Die Konzerte zeigen, dass die Erfahrung des Sakralen in der Musik hoch entwickelte Traditionen in allen Kulturen kennt. Erfahrung und Reflexion, Meditation und Text werden nicht als Gegensätze begriffen, im Sufismus ebenso wie in der buddhistischen Klosterkunst, der Ostkirche oder der Synagogenkunst. Es handelt sich hierbei nicht nur um künstlerische Traditionen, sondern auch um Traditionen der Aufklärung. Sie erschließen Räume der Begegnung, in denen die Erfahrung des Sakralen geschehen kann.
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