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Rose Issa
Dossier
Die Struktur von Leben und Kunst
von Rose Issa
08.03.2004
Real Fictions

Was immer kommt, kommt aus einem Bedürfnis, einer drängenden Sorge, einem schmerzenden Verlangen. (Rumi) (1)
Es gibt eine iranische Redensart, In Niz Migozarad – auch das wird vorübergehen, nichts ist für immer. Sie wurzelt tief in der spirituellen Überzeugung, dass alles, was wir haben, zeitlich begrenzt ist, seien es Macht oder Jugend, Reichtum, Schönheit oder Liebe, Trauer, Armut oder Verzweiflung. Diese Haltung spiegelt sich stark in der iranischen Psyche wider und drückt sich seit dem Mittelalter in der Poesie von Ferdowsi, Hafez, Saadi, Rumi und Khayyam aus. Wer sich die Einstellung zu Eigen macht, dass nichts andauert, kann daraus eine positive Lebensauffassung gewinnen. Dazu muss er allerdings im jeweiligen Moment leben und immer für Veränderungen der Umstände offen sein. So entsteht ein Raum, in dem wir über absolute Zeit (Zaman) in Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft sowie über unseren Zustand (Hal) in Vergangenheit, Gegenwart und gewünschter Zukunft reflektieren können. Diese Reflektion spiegelt Realität und Möglichkeit und hilft, bescheiden zu sein; durch Demut wird die eigene Situation relativiert, eine Überlebensstrategie wird sichtbar.

Die Veranstaltungsreihe Entfernte Nähe im Haus der Kulturen der Welt erhebt nicht den Anspruch, ein Land zu repräsentieren: Die teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler sprechen nicht für Iran. Es geht nicht darum, was es bedeutet, Iranerin oder Iraner zu sein, und es ist auch keine iranische Veranstaltung. Vielmehr geht es darum, was Künstler inner- und außerhalb Irans heute sagen wollen und wie sie es sagen.


Neue künstlerische Sprache und ihre Inspiration

Trotz strenger Restriktionen vor und nach der Islamischen Revolution 1979 haben iranische Künstler kontinuierlich die Grenzen des Sag- und Darstellbaren erforscht und die Lücken im System untersucht. Obwohl sie mit Zensur und Festnahmen, finanziellen Einschränkungen und Isolation, einer schwachen Infrastruktur, einem schlecht ausgebildeten Kommunikationssystem und minimalem Zugang zu Informationen zu kämpfen hatten, fanden sie durch mutiges Verhandeln und Experimentieren neue Strategien, sich künstlerisch auszudrücken.
Die Herausforderung, diese dynamische Sprache zu erschaffen und ständig zu erneuern, ist so faszinierend, dass selbst iranische Künstler außerhalb Irans innerhalb dieser Begrenzungen arbeiten. Die in New York lebende Künstlerin Shirin Neshat verhüllt ihre Objekte und hält sich so an den Code islamischer Darstellung. Indem sie einfache, humanistische Ausdrucksmittel von großer Kraft schaffen, überschreiten solche Künstler Restriktionen durch Metapher, Poesie und Symbolwirkung. Schlüsselelemente aus der visuellen Tradition Irans werden benutzt, zum Beispiel Teppiche, Kopftücher oder die Ikonografie der Straße, Inhalte werden oft aus historischen oder alltäglichen Geschichten des wirklichen Lebens gewonnen, in denen es um die Rechte von Frauen und Kindern geht, um soziale und juristische Ungerechtigkeit, politische Umwälzung und die natürliche und häusliche Umwelt. Aus Filmen, Videos, Fotografie, Malerei und Installationen ergibt sich ein Stil, der Realität und Fiktion verwischt. Spielfilme ähneln Dokumentarfilmen und Dokumentarfilme wirken wie Fiktion. Bei Künstlern, die außerhalb Irans arbeiten, ist diese Sprache stärker konzeptionell (Siah Armajani, Ali Mahdavi oder Mitra Tabrizian), bei denen, die in Iran leben ,stärker metaphorisch geprägt. Unabhängig von der Darstellungsweise liefern die widersprüchlichen Elemente des schizophrenen kulturellen Lebens in Iran reichlich Material: Das Leben wird in die Kunst verwoben.


Wege der Zusammenarbeit und Kommunikation

Dein wirkliches „Land“ ist da, wo du hingehst, nicht wo du bist. (Rumi)
Ausstellung und Filmreihe handeln von den geografischen und kulturellen Wegen,
die iranische Künstler gehen: Einige haben ihre Heimat verlassen (wie die meisten der Filmemacher und Fotografen), manche kehren zurück, um Inspirationen zu sammeln (Farmanara, Ghazel, Moshiri, Mehrjui), manche leben außerhalb Irans, lassen sich jedoch von Ereignissen im Land inspirieren (Neshat, Satrapi, Shahroudi, Tabrizian), wieder andere leben im Ausland und stellen westliche Konzepte in Frage (Armajani, Mahdavi, Shahbazi) oder bewegen sich zwischen Iran und ihrer Wahlheimat (Abbas). Es geht in dem Projekt auch um ästhetische Entscheidungen – ob von der eigenen Geschichte oder der anderer inspiriert – im Dialog mit Vergangenheit und Gegenwart.
Künstler in Iran arbeiten mit begrenzten Ressourcen. Es gibt sehr wenige professionelle Galerien und Institutionen mit einer Infrastruktur, die nötig wäre, um Künstlerkarrieren zu lancieren. Allerdings schaffen diese Restriktionen einen Brennpunkt und eine Atmosphäre der Solidarität, weil die Künstler gezwungen sind, zusammenzuarbeiten und neue Kommunikationsforen zu finden, sogar im Cyberspace, wie die Websites tehranavenue.com, badjens.com, iranian.com, gooya.com oder iranianheritage.com zeigen. Zusammenarbeit schafft auch künstlerische Oasen: Außerhalb Irans arbeitet Shirin Neshat zumeist mit iranischen Freunden, das SHAHRZAD-Kollektiv bewegt sich zwischen Zürich und Teheran, während in Iran Khosrow Hassan Zadeh oft mit seinem Künstlerkreis kooperiert und Abbas Kiarostami einen Zirkel junger Protegés hat, die ihrerseits Mentoren für andere sind. Diese Art der Kooperation ist wie die Ausstellung Teil einer Überlebensstrategie, in der gleichgesinnte Individuen ihre Energien bündeln. Künstlerische Solidarität hilft auch, schwierige Situationen zu meistern, wenn Künstler Arbeiten schaffen können, die ein internationales Publikum erreichen, auch wenn öffentliche Ausstellungen und Vorführungen in Iran begrenzt oder verboten sind. Zum Beispiel wurden die neueren Filme von Abbas Kiarostami („Ten“, 2002), Abolfazl Jalili („Abjad“, 2003) und Jafer Panahi („Crimson Gold“, 2003) von Produzenten aus Übersee koproduziert. Obwohl sie keine Autorisierung für öffentliche Vorführungen in Iran hatten, wurden die Filme daher international gezeigt, und die folgende Ausstrahlung über Satellitenfernsehen sowie der Vertrieb auf Video und DVD machten sie schließlich für das Publikum in Iran zugänglich.
Trotzdem hat die internationale Präsenz diese Künstler nicht dazu verleitet, ein westliches Publikum zu bedienen, wie ihre Kritiker behaupten. Stattdessen hat ihnen die Anerkennung im Ausland einen gewissen Schutz gewährt, Zugang zur Welt draußen verschafft, den Raum für Verhandlungen mit der Obrigkeit erweitert und damit die Macht verliehen, die Grenzen dessen, was gesagt werden darf, Stück für Stück zu erweitern. Durch dieses neue Kommunikationsforum, das der Philosoph Daryush Shayegan einem gemeinsamen poetischen Nenner zuschreibt und der Dichter und Kritiker Mir-Ahmad Mir-Ehsan der Idee des Khala, der Leere, werden die Stimmen iranischer Künstler gehört, die postrevolutionäre Isolation wurde zerstört. (2) Mit erfrischender Freiheit und Fantasie untersuchen und enthüllen iranische Künstler heute die komplexen Paradoxe einer Gesellschaft, die auf traditionellen Werten und einer archaischen Religion gegründet ist, sich der Moderne aber nicht entziehen kann.


Von Persepolis zu Personapolis

Dieser Spiegel in mir zeigt … Ich weiß nicht, was, und muss es doch wissen. (Rumi)
Ob sie historische Schlüsselmomente dokumentieren, mutig das öffentliche und private Selbst darstellen, die Popkultur feiern, reine Konzepte formen oder die Poetik der Kunst untersuchen, die Künstler zeigen dem Betrachter, wie Leben in Kunst verwandelt wird.
Drei Fotografen – Mitra Tabrizian und Abbas, die in Europa leben, und der verstorbene Kaveh Golestan, der in Iran lebte – fangen die Essenz der Ungerechtigkeit und dramatischer, entscheidender Phasen des Wandels ein.
Die Auswahl von Schwarzweißfotografien aus Abbas’ „Iran Diary“-Serie umfasst dreißig Jahre iranischer Geschichte (1971–2003), die er für die Agentur Magnum dokumentierte. Wir zeigen Abbas’ Darstellung des Schahregimes, in deren Mittelpunkt die Fotografien der berüchtigten Feierlichkeiten in Persepolis stehen, als internationale Künstler und Staatsoberhäupter zu einem glamourösen Event zur Feier von 2500 Jahren iranischer Zivilisation eingeflogen wurden. Die Extravaganz der Veranstaltung und der riesige Protest, den sie auslöste, wurden später zum Symbol für den Anfang der Rebellion, die der Iranischen Revolution 1979 vorausging. Zusätzlich werden Abbas’ jüngere Bilder vom Leben in Iran gezeigt. Diese sind hauptsächlich der Jugendkultur gewidmet – Bilder, die er nach seinem aufwühlenden ersten Besuch in der Heimat nach 17 Jahren selbst auferlegten Exils (1980–1997) machte.
Der preisgekrönte Fotojournalist Kaveh Golestan entschied sich dafür, während der Jahre des Aufruhrs in seiner Heimat zu bleiben, wo er in seinen Fotoreportagen die dunklen Seiten Irans vor und nach der Revolution dokumentierte. Immer bewegte ihn die Not der Unterklasse, der Unterprivilegierten, der Opfer von Krieg und Gesellschaft. Seine Fotografien des Teheraner Rotlichtbezirks (Shahre-no) aus den frühen Siebzigern oder von Opfern des Iran-Irak-Krieges, meistens Kinder, spiegeln seinen Wunsch, „die Menschen zum Hinsehen zu bewegen.“ Golestan starb letztes Jahr unter tragischen Umständen, als er beim Filmen der Invasion des Irak für die BBC von einer Landmine zerfetzt wurde. Sowohl der Ort, an dem er starb – Kurdistan –, als auch die Todesart – durch eine Landmine – sind charakteristisch für die Themen, über die er jahrelang berichtet hat.
In einem anderen Maßstab ist Mitra Tabrizians Fotomontage „Surveillance“ (1990)
ein Panorama dreier Schlüsselperioden der iranischen Zeitgeschichte. Sie illustriert die Rollen des „Westens“ und der Geistlichkeit in der iranischen Politik und deren Konsequenzen für die Identität der Frauen. Im Hintergrund dieses Panoramas, das den fortdauernden Kreislauf von Ambitionen und Betrug zum Vorschein bringt, deuten die Demonstranten hartnäckig Widerstand gegen die verschiedenen Mächte an. Die linke Seite symbolisiert ein Treffen 1953, wie die cia unter britischer Aufsicht einen Staatsstreich in Iran vorbereitet (Operation Ajax), um Premierminister Mossadegh zu stürzen, der das iranische Öl verstaatlichen wollte. Der iranische Klerus, für den Mossadeghs demokratische Neigungen einem westlichen Konzept entstammten, unterstützte das britische Komplott, seine Regierung auszuradieren. Allerdings unterschätzten die Briten die Ambitionen der Amerikaner, welche die iranische Ölindustrie prompt unter ihre Kontrolle brachten.
Das Bild auf der rechten Seite illustriert ein anderes Händeschütteln 1979 – das, mit dem der Klerus an die Macht kam. Die amerikanische Politik war gespalten zwischen Unterstützung für den Schah und für den Klerus. Die Amerikaner entschieden sich für den Klerus. Die Linke, die den Schah absetzen wollte, verbündete sich mit der religiösen
Rechten. Dieses Mal unterschätzten die Amerikaner die Ambitionen des Klerus.
Das Bild in der Mitte fasst die Ereignisse von 1982 zusammen, als postrevolutionäre antiimperialistische und antikapitalistische Diskurse zur Wiederentdeckung des Islam als neue nationale Identität führten. Am Rande des Bürgerkriegs, während der Iran-Irak-Krieg das Leben Tausender junger Männer forderte, musste der Widerstand gegen den Fundamentalismus in den Untergrund gehen. Diesmal unterschätzten die demokratische Linke und die Liberalen, die sich mit dem iranischen Klerus verbündet hatten, die Ambitionen der Geistlichkeit. In jenem Jahr verloren iranische Frauen viele ihrer Rechte: Das Gesetz zum Schutz der Familie wurde aufgehoben, Verschleierung zur Pflicht, Koedukation abgeschafft.


Häusliche und urbane Unruhen

Die Veränderungen im Status der Frauen und deren Bedeutung für die Frauen in Iran wird auf humorvolle Weise von zwei jungen Künstlerinnen untersucht: Ghazel, die jetzt in Frankreich wohnt, und Shadi Ghadirian, die in Teheran lebt. Im Gegensatz dazu sind zwei junge Künstler, Peyman Hooshmandzadeh und Mehran Mohajer, von iranischen Stadtlandschaften fasziniert.
Ghazels witzige Videoserie „Me“ (1997–2003), springt in einer Reihe von Haiku-artigen Selbstporträts, die zwischen einer Sekunde und zwei Minuten dauern, kontinuierlich von Tätigkeiten im Haus zu Aktivitäten draußen. Ghazel, die aus einer privilegierten Familie stammt, porträtiert sich beim Wasserski, beim Motorradfahren, beim Schwimmen, Tauchen, Reiten, Sonnenbaden und Balletttanzen, alles im Tschador, den sie als Teenager tragen musste, wodurch sie bei diesen Aktivitäten vollkommen deplatziert wirkt. Sie verließ Iran 1985, besucht ihre Heimat jedoch weiterhin. Ihre Arbeit spürt die Komik in Situationen wie Einsamkeit, Frustration, Klaustrophobie und dem Wunsch nach Anerkennung auf. Ihre Vertrautheit mit Fremdsprachen, die in den Untertiteln dieses Video-Tagebuchs gezeigt werden, fügen ihrer Selbstparodie eine weitere Dimension hinzu. Sie besteht darauf, Fehler in den Texten zu belassen, um ihre multiplen, unvollkommenen Identitäten und ihre Fremdheit zu Hause und im Ausland zu reflektieren.
Shadi Ghadirians Serie „Domestic Life“ (2002) wird als Assemblage von Fotografien gezeigt. Frauen im Tschador werden hier anonymisiert, ihre Gesichter sind mit Küchenutensilien bedeckt. Ghadirian wurde nach ihrer Hochzeit zu dieser häuslichen Serie inspiriert, als die Familie, angeheiratete Verwandtschaft und Nachbarn ihr ständig Geräte schenkten, die ihre häuslichen Fähigkeiten verbessern sollten (sie interessiert sich nicht besonders fürs Kochen). Die gesichtslosen Frauen tragen die leichten, gemusterten und bunten Tschadors, die zumeist zu Hause zum Beten getragen werden. Die Gegenstände, die sie bedecken – Teekanne, Reibe, Hackmesser, Bügeleisen, Besen – wirken gleichzeitig unheimlich und lächerlich. Die Bilder werden wiederholt und wie zufällig arrangiert, so dass sie ein großes Tableau ergeben, das Ghadirians witzige Parodie aus Erwartungen und Restriktionen weiterführt. Ihre Faszination für das paradoxe Leben der Frauen im heutigen Iran, das zumeist hinter verschlossenen Türen gezeigt wird, ist ein beherztes Augenzwinkern in Richtung Obrigkeit, weil die Unmöglichkeit gezeigt wird, einen Menschen in einer Situation einzuschränken, die durch Humor gerettet werden kann.
Peyman Hooshmandzadeh ist im Gegensatz dazu ein leidenschaftlicher Fotograf von Details des Alltags in offenen, öffentlichen Räumen. Er hat ausgiebig Männer in traditionellen Turnhallen, Teehäusern und auf den Straßen von Teheran fotografiert. Für seine Serie „Hands and Belts“ (1998) sprach er männliche Passanten an, um Aufnahmen ihrer Ledergürtel, haarigen Hände, protzigen Ringe und unschuldigen Posen zu machen. In diesen kleinen Details enthüllen die Fotografierten ihre Unsicherheiten oder ihren selbstsicheren Machismo.
Weniger interessiert an den Dingen der Straße und eher innerhalb der Semantik der Fotografie anzusiedeln ist Mehran Mohajer, der in letzter Zeit Bildschirme mit iranischen Fernsehsendungen, Werbung und Sendungen über Satellit fotografiert hat (Satellitenfernsehen ist gesetzlich verboten, doch in den meisten Wohnungen und Hotels vorhanden, sogar in den staatlichen). In seinen jüngeren Diptychen „Traditional Photo Studios“ (2003) mit ihren kombinierten Hintergründen aus Heiligen und Gärten hat er die Fotostudios von Mashhad aufgenommen, einer seit kurzem für ihre Serienmorde berüchtigten Pilgerstadt (die auch Hassan Zadeh in seinen Bildern festhielt). Diese Bilder sind eine farbenfrohe Erinnerung an einen Ort, der einst ein Zentrum für viele religiöse Touristen war, die kamen, um sich vor Hintergründen aus religiösen Ikonen, schiitischen Heiligen und Imams fotografieren zu lassen.


Biografische und autobiografische Tagebücher

Khosrow Hassan Zadeh schaut mit düsterem Blick auf das Leben im heutigen Iran. Seine Serie großer Monotypen, „Faheshe/Prostitutes“ (2002), ist eine Hommage an die Opfer des Massenmörders von Mashhad. Die Bilder sind Polizeiaufnahmen ortsansässiger Mittelloser und Prostituierter, die in Zeitungen veröffentlicht wurden – Fotos, die dem selbst ernannten „Rächer“ die Morde an diesen Frauen erleichterten. Nach seiner Verhaftung hielten viele ihn für einen Helden, und die überraschte Reaktion des Mörders bei seiner Verurteilung zeigt, mit welcher Überzeugung er seine Schandtaten beging. Bis zu seiner Hinrichtung erwarteten er und seine Anhänger, dass die Regierung Milde walten lassen würde, weil sie glaubten, er sei ein Held, der moralische Werte aufrechterhielt. Dieser Umstand wurde von Maziar Bahari in seinem beunruhigenden Video „And Along Came a Spider“ 2002 in einen weiteren Kontext gestellt.
Hassan Zadeh, der früher ein Basidji, ein freiwilliger Soldat war, erkannte die verzerrte Ideologie hinter der Motivation des Kriminellen. Hassan Zadeh, der sich von seiner Umgebung und wirklichen Ereignissen inspirieren lässt, ist Autodidakt, Künstler und Dichter, über dessen faszinierende Lebensgeschichte von der BBC und Arte in mehreren Dokumentarfilmen berichtet wurde.
In einem eher schematischen Erzählstil zeigen die Künstlerinnen Parastou Forouhar und Marjane Satrapi, wie Illustration und grafische Romane schwierige, kontroverse Themen aufgreifen können, die in einer realistischeren Darstellungsweise schwerer zu fassen wären. Feinfühlig und subversiv teilen sie auf erschreckende Weise dieselben persönlichen Erfahrungen damit, wie Politik mit Identität umgeht.
Parastou Forouhars Rauminstallation aus der Werkreihe „Bemusterung“ (2004), die aus stilisierten, dekorativen, kleinen geometrischen Motiven von Folterinstrumenten gestaltet ist, geht auf eine Mappe von Stoffmustern zurück, die 2003 in einer Einzelausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin gezeigt wurden. Ihre Arbeit hängt eng mit dem Tod ihrer Eltern, Dariush und Parvaneh Forouhar, zusammen, zweier Aktivisten, die im November 1998 in ihrem Haus in Iran brutal ermordet wurden. Ihre Eltern, in den Fünfzigern Verfechter von Dr. Mossadeghs Politik, hatten damals gegen die Ausbeutung durch das Ausland gekämpft, waren vom Schah mehrmals verhaftet und verurteilt worden. Nach der Islamischen Revolution setzten sie sich weiter für die Trennung von Staat und Religion ein. Ihre grausige Ermordung, der eine Reihe von weiteren Morden an intellektuellen Dissidenten in Iran folgte (eine Periode, die als qatl-haye zanjiri oder Serienmorde bekannt wurde), liegt Forouhars Videoarbeiten und Tapetenmustern zugrunde, wo düstere Folterszenen auf einen fröhlichen rosa Hintergrund gezeichnet sind.
In den einzeln vergrößerten Comicstrips (2004) aus „Persepolis“, einem grafischen Roman von Marjane Satrapi, sind autobiografische Erinnerungen der Künstlerin
freimütig im Comicstil darstellt. Mit Ironie und Zärtlichkeit erzählen ihre witzigen, starken und herzzerreißenden Bilder in nüchternem Schwarzweiß ihre Lebensgeschichte von der Kindheit zum Erwachsensein, vom Aufwachsen in Iran während der Islamischen Revolution, vom kriegsgebeutelten Iran und dem Leben im Exil. Ihr Leben ist mit der Geschichte ihres Landes verwoben und verdichtet sich zu einem Porträt des Alltagslebens in Iran mit all seinen verwirrenden Widersprüchen zwischen dem Leben zu Hause und in der Öffentlichkeit. Es zeigt, wie Akte des Widerstandes, wie klein auch immer, in totalitären Regimes stattfinden und wie der menschliche Geist angesichts absurder Repressionen triumphiert.


Die Opulenz der Bescheidenheit

Eine Entscheidung von weit reichender Bedeutung bezüglich des eigenen Privatlebens war Inspiration zu Shahram Entekhabis monumentaler Installation „Kilid“ (2004), einem riesigen Schlüssel aus Aluminium mit roten, grünen und weißen Glühbirnen (den Farben der iranischen Flagge). Der Schlüssel steht für seine Motive, Iran in den frühen Achtzigern zu verlassen – genau in dem Alter, in dem junge Männer ihren Kriegsdienst beginnen. „Kilid“ bezieht sich auf die Zeit während des Iran-Irak-Krieges, als Jugendliche mobilisiert und zur Räumung von Minenfeldern abkommandiert wurden. Man gab ihnen kleine Plastikschlüssel, mit denen sie das Tor zum Paradies aufschließen sollten, nachdem sie den Märtyrertod gestorben waren. Für Entekhabi wurde der Schlüssel zum Symbol für seine Flucht vor dem Tod und für das Leben im Exil als Architekt und Videokünstler, das er wählte. Die Glühbirnen sind eine nostalgische Erinnerung an öffentliche Plätze in Iran, die beleuchtet werden, wenn es Ereignisse und Zeremonien wie Hochzeiten, Nationalfeiertage oder den Tag eines Heiligen zu feiern gibt.
SHAHRZAD, ein Kollektiv, das 2001 von drei Freunden – der Fotografin Shirana Shahbazi, dem Schriftsteller Tirdad Zolghadr und dem Grafikdesigner Manuel Krebs – gegründet wurde, baute „Jamaran“ nach (2004). Sie schufen das Faksimile einer Vitrine, die in der Wohnung von Ayatollah Khomeini im Khomeini Museum in Teheran steht. Darin sind seine wenigen persönlichen Habseligkeiten ausgestellt. shahrzad arbeitet mit Ikonen, bekannten Objekten und Figuren, die es durch einfache und unerwartete Eingriffe in ungewohnte Zusammenhänge stellt und so in einem neuen Licht erscheinen lässt. Indem die Reliquien lediglich von einem Museum ins andere, von einer staatlichen Kulturinstitution in die andere „bewegt“ werden, entsteht eine radikale Bedeutungsverschiebung. Durch die Reproduktion der Parfümflasche, des Spazierstocks, des Gewandes und des Korans, die angeblich Khomeinis einziger Besitz waren (Beweis für seine Bescheidenheit und Religiosität) wirft shahrzad Fragen zu Aura und Wert, Reliquien und massenproduzierten Objekten, zu Ikonografie und Dokumentation auf. Das Kollektiv kommentiert seine Arbeit folgendermaßen: „Sie unterstreicht die Verbindungen zwischen Darstellung als ästhetisierendem Porträt und Darstellung als Vertretung, als Machtspiel oder politischem Austausch.“
Farhad Moshiri bedient sich wie die meisten der ausgewählten Künstler mit Leichtigkeit verschiedenster Medien wie Installationen, Malerei, Video und Fotografie. „Living Room Ultra Mega X“ (2003) ist eine Installation mit einem Bett, vier Lehnstühlen, einem Sofa, zwei Kronleuchtern und runden Tischen in vergoldetem, nachgemachtem Louis VX, mit Stereoanlagen, die wie Sitzkissen im östlichen Stil entlang der Wände platziert sind. Eine Vitrine voller vergoldeter Objekte, „Golden Love Super Deluxe“, enthält alles von Mobiltelefonen zu Spielzeug und dekorativen Objekten. Moshiris Parodie auf den neureichen Geschmack mit seinen Goldverzierungen und knalligen Objekten ist aber auch auf physische Weise lustvoll. Seine Arbeit ist keine Kritik, sondern eher eine witzige Beobachtung von Konsum – wie etwas Grelles und angeberisch Wertvolles eine Aura von Wohlstand verströmt, egal, was darunter ist. Seine Website mit 150 Dias „Post Islamic Revolution Buildings of Tehran” (2004) mit ihren römischen Fassaden, kombiniert mit einer Fülle anderer Ismen, spiegelt ebenfalls die Weltanschauung der Neureichen und die Farben ihres sozialen Status wider.


Die Gestaltung reiner Konzepte

Einen opulenten Geschmack reflektiert auch Ali Mahdavis Arbeit, die Verbindungen zwischen Ornament und Makabrem zum Vorschein bringt. Seine Installationen von fünf Skulpturen, „i ii iii iv v“ (2000), die Papst, Kardinal, Priester, Äbtissin und Nonne darstellen, entstanden in Zusammenarbeit mit Monsieur Pearl, dem berühmten Pariser Korsettmacher. Mumifizierte Hunde und Katzen, gekleidet in reich geschmückte, mit Perlen und Halbedelsteinen bestickte päpstliche und kirchliche Gewänder, drehen sich langsam auf Spieldosen um ihre eigene Achse.
Mahdavi floh als kleines Kind mit seinen Brüdern und Schwestern aus Iran und überquerte die Grenze als Kurde verkleidet. Während seines Studiums der Malerei und Fotografie in Paris beeindruckte ihn die christliche Liturgie, und er bewunderte, mit einigermaßen gemischten Gefühlen, neogotische Literatur und Filme. Als bekannter Modefotograf und ehemaliges Model hat er den Schönheitskult und die Mehrdeutigkeit ästhetischer Diktate beharrlich untersucht. Der gefolterte Körper fasziniert ihn, er stellt sich oft selbst mit goldenen Folterinstrumenten dar. „Die Suche nach Perfektion“, unter der er litt, ist die Grundlage aller seiner Werke.
Perfekt ausgeführte Konzepte sind die Domäne des Künstlers Siah Armajani, der die Grenzen zwischen Kunst und Architektur seit über vierzig Jahren verwischt. Armajani schuf skulpturale Installationen für öffentliche Plätze und experimentierte mit dem Konzept der Entwicklung von Gemeinschaften. „The Glass Room for an Exile No. 2” (2003), Armajanis Skulptur für diese Ausstellung, unterscheidet sich von seiner vorhergehenden Arbeit, weil dieser Raum nicht betretbar ist. Von Glas umschlossen – ein Material, dessen Durchsichtigkeit Armajani fasziniert – existiert der Raum allein um seiner Schönheit willen, und selbst der Spiegel ist so positioniert, dass er keine Aktivitäten reflektiert. Frühere Arbeiten luden zur Interaktion ein, doch jetzt sagt Armajani, er sei desillusioniert und glaube „nicht mehr an die Heiligkeit des Ortes“, weil durch rücksichtslosen Kapitalismus „der Kanon der Künste und die Aura des Betrachters zerstört wurden“. Anders als viele Künstler der Ausstellung glaubt er nicht an Selbstbefragung und versucht, alle Spuren des Selbstausdrucks aus seinen Arbeiten zu entfernen. Als Einsiedler „liebt er die Menschen, aber konzeptionell“, und möchte sein Leben „spurlos“ leben. Für ihn ist „Exil eine Daseinsform … Niemand geht zurück … Es gibt keinen Ort, an den man gehen könnte.“ Er besteht darauf, man müsse „hartnäckig, unvernünftig“ sein und teilt damit die gemeinsame Sprache der Künstler, die in Iran leben. Vor allem zieht er den Schluss: „Die Sprache der öffentlichen Kunst sollte eine poetische Sprache sein.“


Die Poetik der Schönheit

Die in Berlin lebende Dichterin und Installationskünstlerin Farkhondeh Shahroudi hat das Konzept des Gartens als Paradies über viele Jahre weiterentwickelt. Mit handgewebten Teppichen und Motiven stilisierter Blüten, Knospen oder Büschen hat sie mit „Gärten/Bagh“ (2004) eine der Anlage des hkw angepasste Installation geschaffen. Sie bedeckte die Betonsäulen am Eingang des Hauses der Kulturen der Welt mit handgewebten Teppichen, die in persischer Tradition einen Garten darstellen, ein Symbol für das Paradies (behesht) und das Leben im Jenseits. Indem sie diesen von Menschenhand geschaffenen Garten im Außenraum zeigt, gibt sie ihrer Idee vom Garten im Garten eine neue Wendung, wobei sie ihre Vorstellung vom Paradies als Neuerschaffung von Schönheit und der eigenen Heimat im Exil, egal in welchem Maßstab, reflektiert.
Zwei Künstler, die in den letzten Jahren das größte internationale Publikum und Kritikerlob angezogen haben, sind Shirin Neshat, die in New York lebt, und Abbas Kiarostami, der in Teheran wohnt. Sie teilen eine Vorliebe für Zen-artige Vereinfachung sowie Effizienz, was Form und Worte angeht.
Shirin Neshat, deren Arbeiten bereits in mehreren Einzelausstellungen in den usa und Europa präsentiert wurden, erlangte Berühmtheit durch ihre Serie „Women of Allah“ (1993–1997), in der sie fotografische Selbstporträts mit Texten der feministischen Dichterin des 20. Jahrhunderts Forough Farrokhzad beschriftete. In den vergangenen sieben Jahren ist sie von der Fotografie über Installationen mit doppelten Filmprojektionen zu Kurzfilmen vorgestoßen und bereitet gerade ihren ersten Spielfilm „Women Without Men“ vor, der wie „Tooba“ (2002) von den Romanen der zeitgenössischen Schriftstellerin Shahrnush Parsipur inspiriert ist. „Turbulent“ (1998) ist Teil einer Videotrilogie, die Neshat mit einem Team aus engen Freunden und Kollegen erarbeitete (die beiden anderen Teile heißen „Rapture“, 1999, und „Fervor“, 2000). Der unverwechselbare, nüchterne, minimalistische Stil Neshats bezieht sich auf die sozialen, kulturellen und religiösen Codes der iranischen Gesellschaft. In ihren Arbeiten konzentriert sie sich zum größten Teil auf die Polarität und Dynamik zwischen Männern und Frauen in islamischen Gesellschaften. In „Turbulent“ singt die Sängerin Sussan Deyhim ein abstraktes Solo ohne Worte vor einem leeren Zuschauerraum, während ihr Gegenpart (die Stimme des legendären Shahram Nazeri, zu der Filmemacher Shoja Azari die Lippen bewegt) vor einem männlichen Publikum Rumi singt. Neshat benutzt bekannte Symbole wie den Schleier sowie starke Kontraste – Schwarz und Weiß, Bild und Schrift –, um die Wahrnehmung des zeitgenössischen Iran mit den dort erlaubten Werkzeugen in Frage zu stellen.
Abbas Kiarostamis Installation, Filme, Fotos, Gemälde, Gedichte und Theaterarbeit, sämtlich von poetischer Bescheidenheit, reflektieren den minimalistischen Stil, den der Künstler kontinuierlich verfolgt hat. Sie zeigen, wie sehr private Gedanken und Visionen mit großer Poesie und Courage öffentlich ausgedrückt werden können.
Sein jüngster Vorstoß ins Theater, „Ta’ziyeh“ (seine Version eines populären iranischen Passionsspiels), aufgeführt im Sommer 2003 in Italien, zeigte, wie der stets kreative Kiarostami dem „westlichen“ Publikum die Essenz solcher Spiele vorführt – nämlich ihre Wirkung auf das Publikum. Während das italienische Publikum die Entwicklungen des Dramas beobachtete, wurden Filme eines iranischen Publikums, das mit starken Emotionen auf die Vorführung desselben Stücks reagierte, auf sechs Leinwände auf der Bühne projiziert. In seiner jüngsten Arbeit, „Five Long Takes“ (2003), treibt er diese Sprache Zen-artig auf die Spitze: eine fixe Kamera, menschliche Figuren, die nach und nach von Tieren, Objekten und schließlich von vollkommener Dunkelheit bis auf das Spiegelbild des Mondes in einer Lagune ersetzt werden. Kiarostami ist ein Mann weniger Worte, dessen scharfer, kritischer Verstand neue Ideen hervorbringt, zu Interaktion oder Reflektion ermuntert und den Zuschauer einlädt, zu horchen und zu beobachten: „Es macht mir nichts aus, wenn die Leute einschlafen!“
Neshats und Kiarostamis visueller und narrativer Stil sind zum Inbegriff der einzigartigen Politik und Poetik der neuen ästhetischen Sprache Irans geworden, die eine Brücke zwischen dem Publikum in Iran und den communities in der Diaspora schlägt und auch einem nicht iranischen Publikum ein besseres Verständnis und Anerkennung der zeitgenössischen iranischen Ästhetik ermöglicht.
Was sich in den Arbeiten iranischer Künstlerinnen und Künstler in dieser Ausstellung zeigt, sind Distanz, Verspieltheit, Sehnsucht und Liebe zu einem Land, dessen an Poesie reiche Geschichte ihnen einen geschärften Sinn für Beobachtung und Geduld eingepflanzt hat. Ihre visuelle Sprache spiegelt Makel und Träume der Gesellschaft, stellt soziale Realitäten in Frage und nimmt mit ihren neuen Methoden, sich zu engagieren, Form und Farben des Lebens an. Indem sie über die Struktur des Lebens reflektiert, feiert diese Ausstellung in den weit reichenden Wellen künstlerischen Ausdrucks ein Meer kreativer Energie.

Übersetzung aus dem Englischen von Susanna Nieder

Fußnoten:
1 Die Zitate von Rumi sind entnommen aus: „The Essential Rumi“, translations by Coleman Barks with John Moyne, Harper San Francisco 1995
2 Vgl. deren Essays im vorderen Teil des Bandes