Die Lage des Islam in Europa ist im universitären Umfeld wie in den Medien zu einem häufig aufgenommenen Thema geworden und das praktisch in jedem Land dieses Kontinents. Es war bekannt, dass es in einigen Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder Deutschland eine bedeutende muslimische Minderheit gab, doch heutzutage gilt dies von Südspanien bis Nordskandinavien. Die Zahlen sind nicht genau, aber man rechnet allein in Westeuropa mit 14 bis 18 Millionen Muslimen. Erst seit kurzem wird bewusst zur Kenntnis genommen, was diese neue Gegebenheit bewirkt, und mit den neuen, in Europa geborenen Generationen von naturalisierten oder tatsächlich eingebürgerten Muslimen nimmt die politische und kulturelle Zukunft der Alten Welt völlig neue Gestalt an. Lange hatte man in den politischen Zirkeln geglaubt, es gäbe im Grunde nur eine Alternative: entweder würden sich die Muslime auf die eine oder andere Art kulturell und religiös assimilieren und echte Europäer werden, oder sie blieben ihren Wurzeln verhaftet und würden dann wohl oder übel an den Rändern der europäischen Gesellschaften verbleiben, immer ein wenig fremd, nie wirklich eingebürgert. Seit fünfzehn oder zwanzig Jahren hat sich die Art der Präsenz von Muslimen auf dem Kontinent verändert und ist gegen alle Vorhersagen zu einer ständigen geworden. Im öffentlichen Raum sind Prozesse der Integration und der produktiven Auseinandersetzungen durch einen neuartigen Typus von politischen Leitfiguren zu beobachten, und das in erster Linie in den Ländern, in denen muslimisches Dasein historisch tief verwurzelt ist, wie in Großbri-tannien oder Frankreich. Es geht künftig darum, seine Zugehörigkeit zum Islam unter Beweis zu stellen, diesen sichtbar zu machen, ohne dass das etwa bedeuten würde, die soziale, politische, ökonomische und kulturelle Integration zurückweisen zu wollen. Im Gegenteil: man findet zunehmend muslimische Vereinigungen, die sich um den Aufstieg in eine aktive und verantwortungsvolle Staatsangehörigkeit bemühen, was sich ebenfalls positiv auf die Art ihrer Präsenz in den europäischen Gesellschaften auswirkt. Vereinigungen wie Young Muslims (YM) oder Islamic Society of Britain (ISB) in Großbritannien oder das Collectif National des Associations Musulmanes (CNAM) (Dachverband der muslimischen Vereinigungen in Frankreich), die Etudiants Musulmans de France (EMF) (Muslimische Studentenvereinigung Frankreichs) und die Union des Jeunes Musulmans (UJM) (Vereinigung junger Muslime) in Frankreich entwickeln unter Hun-derten von anderen Strukturen einen völlig neuen Bezug zu ihrer Umwelt: als Bürger isla-mischen Bekenntnisses beanspruchen sie das Recht, Muslime zu bleiben und wirken auf ein neues Bewusstsein ihrer Verantwortung hinsichtlich der staatsbürgerlichen Pflichten hin. Auch in Deutschland entfalten sich diese Angelegenheiten außerordentlich schnell: das sehr restriktive Gesetz zur Staatsbürgerschaft und die Natur der türkischen muslimischen Bevöl-kerung, die ihrem Heimatland meist sehr verbunden ist, haben den Prozess der Integration über Jahrzehnte hinweg gebremst. Heutzutage findet man eine völlig neue Dynamik und eine Mitwirkung nach dem Beispiel von Vereinigungen wie der Muslimischen Studentenvereini-gung in Deutschland (MSVD) und es ist so gut wie sicher, dass die deutschen Staatsbürger (oder die Einwohner) türkischer Herkunft sehr schnell den Spuren ihrer einstigen Landsleute folgen werden, die in Frankreich oder Belgien bereits dabei sind, sich offen am sozialen, poli-tischen und kulturellen Leben ihrer neuen Länder zu beteiligen. Tatsächlich wohnen wir einer stummen Revolution in der Einstellung der Muslime bei, der Verwirbelung aller Ursprünge, und in den kommenden Jahren wird sich sehr wahrscheinlich bestätigen, dass ihre Partizipation noch sichtbarer, noch tiefer und von noch größerem Ausmaß geworden ist. Von nun an lässt sich der Islam nicht mehr allein auf die Problematik der Einwanderung beschränken: wie der katholische oder der protestantische Glauben oder das Judentum ist der Islam ein Bestandteil Europas und er ist das Bekenntnis mehrerer Millionen von Bürgern, die de facto und de jure dort zuhause sind. Heißt das, alle Probleme seien gelöst? Heißt das, dass man das, was von einigen englischen Wissenschaftlern Islamfeindlichkeit genannt worden ist, nun hinter sich gelassen hätte? Keinesfalls; und selbst wenn man sagen kann, dass sich die Tatsachen auf diesem Gebiet sehr schnell verändern, ist es doch offensichtlich, dass sich Ansichten nur mit Mühe wandeln lassen, und dass der Islam und die Muslime vielen Probleme bereiten und die religiöse und kulturelle Einheit des alten Kontinents beeinträchtigen (obwohl man kaum sagen kann, was das wirklich heißt). Es braucht Zeit, die alten Reflexe gegenseitiger Abneigung zu überwinden. Die erste Stufe, die es ermöglicht, die Verwurzelung der Muslime in Europa haltbarer zu machen, bestünde zunächst darin, die Gründe für die überwiegend negative Einschätzung, die man heute in der europäischen Bevölkerung gegenüber dem Islam und den Muslimen hegt, systematisch aufzugliedern. Im zweiten Schritt wird die deutliche Hervorhebung der jüngsten Fortschritte in den Haltungen und im innersten Denken der muslimischen Gemeinden Europas eine viel genauere Vorstellung von den Aussichten auf die Zukunft vermitteln. Ein getrübtes Bild Die neuerliche muslimische Präsenz auf dem Alten Kontinent gibt es erst seit kurzem seit sechzig oder siebzig Jahren. Historisch betrachtet, erscheint sie also erst in einem sehr kurzen Zeitraum. Nun haben die anderen religiösen oder nationalen Minderheiten (je nach Land Juden, Katholiken, Protestanten, Orthodoxe, Polen, Italiener oder Portugiesen) Jahrhunderte an Auseinandersetzungen und Konflikten gebraucht, um in den Aufnahmeländern ihren Platz einzunehmen und ihre Rechte zu erwerben. Wie hätte sich dieses Problem also für die Muslime in nur zwei oder drei Generationen lösen lassen sollen?
Obendrein bestanden die ersten Wellen muslimischer Migranten aus nordafrikanischen, türkischen oder indo-pakistanischen Arbeitern von sehr bescheidener Herkunft, die von den ökonomischen Zwängen angetrieben worden waren: fast eine Generation lang erlaubten ihr Bildungsniveau und die Unsicherheit ihrer rechtlichen Stellung nicht, dass über die Tatsache eines Islam in Europa nachgedacht worden wäre. Es brauchte die zweite und die dritte Generation dafür, dass diese Arbeiter die Wahrnehmung, die sie von ihrer Präsenz hatten, änderten: In Frankreich wie in Großbritannien ist es offenkundig, dass die Neugliederung der Gemeinschaften oftmals die soziale Hierarchie des Herkunftslandes, ja sogar der Region reproduzierte. In Deutschland hatte die Einbürgerungspolitik, wie bereits erwähnt, den Pro-zess der Integration gebremst, der sich jetzt allerdings deutlich zu entwickeln beginnt. Der dritte Faktor: der Einfluss internationaler Ereignisse. Man kann gar nicht genug betonen, wie sehr letztere seit der iranischen Revolution von 1979 die negativen Einstellungen und Wahrnehmungen des Islam geprägt haben, die sich in den europäischen Ländern weit ausgebreitet haben. Von den Vorgängen um Salman Rushdie über die Attentate und die Gewalt im Nahen Osten und den alltäglichen Schrecken in Algerien bis zur Tollheit der Taliban förderten diese Ereignisse eine Verzerrung, die zu den Spannungen der ganz Europa umfassenden sozialen Krise und deren Gefolge aus Arbeitslosigkeit, Ausschluss und Gewalt in den Städten noch hinzukommt. Von daher gesehen ist es schwierig, wenn nicht unmöglich, eine Diskussion über musli-mische Präsenz zu führen, zumal diese oft mit dem drängenden Problem der Immigration ver-wechselt wird. Das verteufelte Bild der Muslime unterbindet eine zuverlässige Auswertung der Dynamik, die ihre Gemeinschaften in Europa durchläuft. Die jungen Generationen Trotzdem haben die zweite und die dritte Generation aus zwei scheinbar widersprüchlichen Gründen eine bedeutende Rolle in der Weiterentwicklung der Denkweisen innerhalb der unterschiedlichen muslimischen Gemeinschaften in Europa gespielt. Auf der einen Seite ist der Prozentsatz derer unter den jungen Muslimen, die täglich religiöse Bräuchen befolgen, relativ gering, so dass für viele von ihnen die Integration in die aufnehmende Gesellschaft im Grunde mehr zu einer Assimilation wird. Dies nötigte die Betreiber von Moscheen und die Leiter der muslimischen Vereinigungen aus der ersten Generation, die Formen und die Art und Weise ihrer Aktivitäten zu überdenken. Von Regierungen oder militanten Muslimen, die aus dem politischen Exil hervorgegangen waren, eingesetzt, mussten sie sich der Situation der Jugendlichen anpassen, ihre Sprache sprechen, die religiöse Schulung umgestalten und die Art und Weise der sozialen und kulturellen Aktivitäten neu bestimmen.
Umgekehrt hatte das Erstarken religiöser Praxis bei einer Minderheit von Jugendlichen die Bildung einer Vielzahl von Vereinigungen zur Folge: innerhalb von fünfzehn Jahren hat sich ihre Zahl verdreifacht. Künftig sind es diese jungen Muslime, die immer aktiver werden, und Muslime um die Dreißig, die in Europa geboren wurden, oftmals Studenten an oder geformt durch die europäischen Universitäten, die das Netz der Vereinigungen intensivieren. Ihr Engagement bewirkt tiefgreifende Veränderungen in den Einstellungen, weil sie sich künftig in Europa zu Hause erachten, und Rechte zu haben, die sie dort auch geltend machen. Von daher gibt es einen Bruch zwischen den Generationen, weil diese Jungen im Gegensatz zu den ersten Migranten offen versuchen, intellektuelles und soziales Terrain zu besetzen. Ihre Dynamik und ihre europäische Kultur zwangen ihre Vorfahren, ihre Verfahrensweisen und ihre geistige Haltung in Bezug auf den Kontinent völlig zu überdenken. Dadurch wurden im Innern der muslimischen Gemeinschaften wichtige Diskussionen hervorgerufen, und das insbesondere unter den muslimischen Gelehrten (den Ulemas): zu Fragen der islamischen Rechtsprechung (Fiqh) herangezogen, fühlten auch sie sich veranlasst, ihren Standpunkt zu überprüfen bei der Erstellung neuer Rechtsgutachten (Fatwas), die den Realitäten des westlichen Lebensstils angepasst sind. Erneute Diskussion der Bezugssysteme In den achtziger und neunziger Jahren wuchs das Wissen um die Notwendigkeit einer Er-neuerung des islamischen Denkens im Westen. Die jungen Muslime, nunmehr Europäer, stel-len direkte und indirekte Fragen, die nach klaren Antworten verlangen. Muss Europa (nach der Terminologie und den Ansichten der Ulemas des neunzehnten Jahrhunderts) als dar al-harb (als Kriegsgebiet) angesehen werden, im Gegensatz zum dar al-islam (dem Gebiet, in dem die Muslime mehrheitlich in Sicherheit unter eigener Gesetzgebung leben)? Anders aus-gedrückt, ist es möglich, dort zu leben? Wenn ja, worin bestünde der Beitrag der Muslime zur nationalen Gesetzgebung? Kann ein junger Muslim eine europäische Nationalität erwerben und seine Rolle als Staatsbürger vollständig ausfüllen? So viele Fragen, die die muslimischen Gelehrten noch niemals gemeinsam, vollständig und eingehend beantwortet haben. Vom Beginn der neunziger Jahre an haben sich die Zusammenkünfte zu theologischen und juristischen Themen vervielfacht: Ulemas aus der muslimischen Welt, aber auch mehr und mehr Imame und Intellektuelle aus Europa haben an diesen grundlegenden Diskussionen teilgehabt. Ihre Ergebnisse sind von höchster Bedeutung für die islamische Rechtsprechung. Fünf Prinzipen zeichnen sich ab, die künftig das Ziel einer Art Konsens sowohl zwischen den Gelehrten, wie im Innern der europäischen muslimischen Gemeinschaften bilden: Ein Muslim, sei er Einwohner oder Staatsbürger, muss sich mit dem Land, in dem er sich auf hält, wie durch einen moralischen und sozialen Vertrag verbunden fühlen und dessen Gesetze achten;
Die europäische Gesetzgebung (und, in der Tat, der säkulare Rahmen) erlauben den Mus-limen, das Wesentliche ihrer Religion zu praktizieren; Die frühere Benennung dar al-harb, die im Koran nicht enthalten ist und nicht zur pro-phetischen Tradition gehört, wird für hinfällig erachtet. Es wurden andere Konzeptionen vorgeschlagen, um der Präsenz der Muslime in Europa positiven Ausdruck zu verleihen; Die Muslime müssen sich als vollwertige Staatsbürger betrachten und unter Wahrung ihrer eigenen Wertvorstellungen am sozialen, gemeinschaftlichen, ökonomischen und politischen Leben der Länder, in denen sie leben, teilnehmen; Innerhalb des Bereichs der europäischen Gesetzgebung hält einen Muslim, wie jeden anderen Staatsbürger nichts davon ab, Entscheidungen zu treffen, die den Erfordernissen seines Glaubens geschuldet sind. Einem europäischen Islam entgegen? Viele Muslime wenden sich gegen den Ausdruck europäischer Islam, weil damit scheinbar ausgedrückt werde, man akzeptiere ein Zugeständnis und wolle einen neuen Islam för-dern. Tatsächlich ist das Risiko groß, in neuen Formulierungen alte assimilatorische Reflexe wiederzugeben, indem man den Muslimen vorschlägt, weniger muslimisch zu sein, um europäisch zu werden. Man muss sich daher klar über die benutzten Ausdrücke und die zu untersuchenden Zielsetzungen sein.
Wenn man unter europäischem Islam die Tatsache verstünde, dass die Muslime auf wesentliche Elemente ihrer Religion verzichten sollten, dann scheint es klar zu sein, dass das Projekt in der muslimischen Bevölkerung Zurückweisung und tief gehende Verärgerung her-vor rufen wird. Heutzutage handelt es sich nicht darum, diesen Gemeinschaften vorzuschla-gen, sie sollten sich ihrer Identität berauben, sondern eher den Weg vorzuzeichnen, der den Muslimen erlaubt, wirklich sie selbst zu bleiben und sich in Europa zu Hause zu fühlen. Der europäische Islam sollte also ein gelebter, einer leidenschaftslos ausgeübten Staatsbürger-schaft zutiefst vermählter Islam sein. Ist das möglich? Die jungen Generationen sind dabei, diese Frage positiv zu beantworten. Während die Erstellung eines theoretischen Bezugsrahmens langsam ihren Fortgang nimmt, ist in diesem Bereich das Erstarken einer Behauptung von Identität offenkundig. Trotz des Druckes wahren die Jungen die Achtung ihrer Identität besser als die nationale Rechtsprechung garantieren könnte. Darum breitet sich das Engagement einer Vielzahl muslimischer Vereinigungen aus: sie bestehen künftig mehr auf staatsbürgerlicher Ausbildung und ihrer Partizipation als Bürger, was als notwendiger Schritt zur Erlangung anerkannter Rechte gilt. Auf lokaler Ebene werden Tagungen zur Sensibilisierung der öffentlichen Meinung organisiert, oft in Partnerschaft mit besonderen Institutionen. Das Verständnis vertieft sich: die Vorschriften besagen nicht, bei einer Wahl einen Muslim zu bevorzugen, sondern den kompetentesten und rechtschaffendsten Kandidaten zu wählen, welcher Konfession er auch angehöre. Andere Kennzeichen für den Willen, der Isolation zu entkommen: die Förderung der Nationalsprache bei den Zusammenkünften oder den Freitagspredigten. In Großbritannien kämpfen die Jungen in den Vereinigungen gegen Tendenzen der Wirtschaftsgemeinschaft. Wenn sie auch anerkennen, dass das angelsächsische multikulturelle System in hohem Maße erlaubte, die kulturelle Identität der indo-pakistanischen Bevölkerung zu bewahren, so kämp-fen ihre Vertreter gegen die von der Ghettoisierung hervor gerufenen Diskriminierungen. In Frankreich, Belgien und Deutschland ist es mehr und mehr die jeweilige europäische Natio-nalsprache, die als Vektor für die Kommunikation dient, wobei sich die Übertragungswege in dem Maß verbessern, in dem sie sich von den aus Nordafrika oder der Türkei bekannten überkommenen Modellen entfernen. Europas Islam scheint außerdem Wege zu seiner politischen und finanziellen Unabhängigkeit zu finden. Große Moscheen und Institutionen bleiben den Regierungen verbunden; aber mehr und mehr Vereinigungen entkommen jeglicher Abhängigkeit, während eine große Zahl von Kultorten künftig mit Hilfe von Geldern errichtet werden, die in den Gemeinschaften selbst gesammelt wurden. Die Aktivitäten der Jungen finanzieren sich selbst, werden sogar von Subventionen aus den Verwaltungen gefördert. Diese Unabhängigkeit wird in den nächsten Jahren noch wichtiger werden. Allmählich schwindet mit einem muslimischen Verbindungsnetz in Europa der Krieg der Honoratioren um die offizielle Vertretungsvollmacht in den nationalen Gemeinschaften. Diese Dynamik erlaubt die Hoffnung auf eine wahrhafte Vertretung, hervor gegangen aus der Basis, von ihr erwählt, politisch und finanziell unabhängig. In gleichem Maße wird die pluralistische Wirklichkeit im Innern der Gemeinschaften künftig weniger durch Übergehen gelenkt werden. Zum Beweis, auch wenn die Widerstände erheblich sind, die Zusammen-setzung des spanischen islamischen Rates, des Rates der Muslime Großbritanniens und verschiedener regionaler Räte in Frankreich, Deutschland oder Holland. Das letzte Kennzeichen der tiefgreifenden Wandlung, die sich vollzieht: die neuen kultu-rellen und künstlerischen Produktionen von Muslimen. Eine Vielzahl von Gruppen sind in Großbritannien, in Spanien oder in Frankreich im Begriff, einer wahrhaften europäisch-isla-mischen Kultur zum Leben zu verhelfen. Wenn auch einige unter ihnen sich damit begnü-gen, bekannte Genres nachzuahmen (Rap, Variété, Volkstheater), so legen doch andere Zeugnis ab für ihre effektive Fähigkeit der Anpassung. Nach und nach ziehen sie sich aus der arabischen, der türkischen oder der indo-pakistanischen Kultur zurück, und versuchen doch, im künstlerischen Ausdruck die islamischen Werte zu wahren, wobei sie den nationalen Bräuchen und Geschmäckern Rechnung tragen. Bald werden noch originellere Produktionen auftauchen, die Ausdruck einer nunmehr akzeptierten europäischen muslimischen Identität sind. Der Bereich ist riesig und er weckt in den Muslimen einen kritischen, wählerischen, schöpferischen Geist, der sich auf diesem Gebiet auch schon zeigt. Die Zukunft liegt im Dialog Um negative Darstellungen, Zurückweisung und Ausgrenzung zu bekämpfen, gibt es keinen anderen Weg als den Dialog. Auf mehreren Ebenen. Zwischen den Vertretern und den Gläubigen unterschiedlicher Religionen auf dem Kontinent: es ist dringlich, die Logik des Wettkampfes aufzugeben, ohne sich über den Feind hinwegzutäuschen. Die Aussage über Transzendenz, Spiritualität, Achtung und Solidarität ist eine von allen religiösen Traditionen getragene Forderung, und die Qualität des Dialoges und des Engagements für die Gemeinschaft muss beispielhaft sein. Die Verärgerungen bleiben, aber in ganz Europa vervielfachen sich die interreligiösen Plattformen und öffnen den Weg zu vielversprechenden Partnerschaften. Im sozialen und politischen Bereich werden zahlreiche Initiativen besonders von den Musli-minnen ergriffen, damit öffentliche Vorhaben der sozialen Integration, der beruflichen Eingliederung oder des weitergehenden solidarischen Engagements vorangetrieben werden. Die Dynamik ist neu und es braucht mehr Zeit, die Präsenz der Musliminnen und Muslime normal zu finden. Der Prozeß ist gleichwohl angekurbelt und die Qualität des Zusam-menlebens in unseren pluralistischen Gesellschaften hängt zum Großteil von der Bereitschaft jeder Bürgerin und jeden Bürgers ab, an der Basis gegen Verzerrungen und Vorurteile zu kämpfen. Der religiöse und kulturelle Pluralismus fordert von allen und jedem, von Muslimen wie von ihren Mitbürgern kontinuierliches Lernen: wissen, wer man ist; die kennen, mit denen man lebt; zusammen zur Wahrung der unveräußerlichen Werte der Rechtsprechung, der Freiheit und der Gleichheit beitragen. Das ist, was Gott immer von den Gläubigen for-dert, das ist es, was die Zukunft den Menschen auferlegt.
Übersetzung: Beate-Ursula Endriss Aus: Thomas Hartmann / Margret Krannich (Hrsg.): "Muslime im säkularen Rechtsstaat. Neue Akteure in Kultur und Politik". Das Arabische Buch, Berlin 2001, 125 Seiten; 10,00 Euro
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