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Biographien der Teilnehmer
Kamal Boullata
ist in Jerusalem geboren. Er lebt als
Maler und Schriftsteller in Südfrankreich. Seine Arbeiten sind in Museen in Großbritannien, Frankreich, Katar, Spanien und den USA zu sehen. Er ist Autor von zwei Büchern über palästinensische Kunst.
Boullatas Aufsätze zu islamischer und
zeitgenössischer arabischer Kunst sind
in vielen Zeitschriften erschienen.


Awni Karoumi
geboren 1945 in Mosul Ninive / Irak
lebt in Berlin. Nach einer Ausbildung zum
Doktor der Philosophie in Theaterwissenschaften an der
Humboldt Universität zu Berlin war er Professor für Theaterwissenschaften und freiberuflicher Regisseur. Zu seinen etwa 70 eigenen Inszenierungen gehören Stücke von Albert Camus, Bertolt Brecht, Heiner Müller und Samuel Beckett. Er erhielt eine Reihe von Auszeichnungen.


Amjad Nasser
geboren 1955 in at-Tarra in Jordanien, ging 1977 in den Libanon, studierte in Beirut arabische Literatur und arbeitete als Kulturredakteur für die palästinensische Presse. 1982 musste er wegen des israelischen Einmarsches das Land verlassen. Er zog nach Zypern, wo er mehrere Jahre als Journalist tätig war. 1987 ging er schließlich nach London, wo er 1989 die arabische Zeitung al-Quds al-Arabi, eine international anerkannte Tageszeitung mit gründete, für die er heute als Feuilletonchef arbeitet. Insgesamt veröffentlichte Amjad Nasser sechs Gedichtbände und zwei Reiseberichte. Im Zentrum seiner Werke steht die unaufhörliche Wanderschaft durch eine sich ständig verändernde Welt. In Deutschland sind Gedichte Nassers in den Anthologien Die Farbe der Ferne. Moderne arabische Dichtung (Hg.: Stefan Weidner, 2001) und Zwischen Zauber und Zeichen. Moderne arabische Lyrik (Hg.: Khalid al-Maaly, 2000) enthalten.


Jack Persekian
lebt in Jerusalem, wo er auch geboren wurde. Er ist Gründer und Leiter der Anadiel Gallery und der Al-Ma’mal
Foundation for Contemporary Art. Persekian hat zahlreiche lokale wie
internationale Austellungen kuratiert
und außerdem die Millennium-2000-
Festlichkeiten in Bethlehem geleitet.


Nehad Selaiha
ist Professorin für Theaterwissenschaften und -theorie und Direktorin des Postgraduierten-Kollegs für Kunstkritik an der Akademie der Künste, Kairo. Sie ist die führende Theaterkritikerin Kairos und Autorin vieler Bücher zum Thema.


Jalal Toufic
ist Autor von fünf Büchern, darunter Forthcoming (Atelos, 2000) und Undying Love, or Love Dies (Post-Apollo, 2002). Seine Videos und Installationen wurden in Galerien und Museen in New York, Los Angeles, San Francisco, Barcelona, Rotterdam, Brüssel, Berlin, Toronto, Marseille, Athen, Kairo und Berlin gezeigt. Er ist Mitglied der Arab Image Foundation (www.fai.org.lb) und hat unter anderem an der University of California, Berkeley und dem California Institute of the Arts gelehrt.


Akram Zaatari
ist ein Videokünstler und Kurator, der in Beirut lebt und arbeitet. Er ist Autor von über 30 Videos, darunter How I love You (2001, 29 Min.), Her + Him Van Leo (2001, 32 Min.), Crazy of You (1997, 27 Min.), All is Well on the Border (1997, 43 Min.) und The Candidate (1996, 10 Min.), und zwei Videoinstallationen: Another Resolution und Monument # 5: The Scandal. Er ist Mitgründer der Fondation Arabe pour l’Image in Beirut, über die er seine jüngste forschungsbasierte Arbeit zur Fotografiegeschichte des Nahen Ostens entwickelt hat. Letztere diente als Grundlage für eine Reihe von Ausstellungen, darunter /2001: The Vehicle: Picturing Moments of Transition in a Modernizing Society, Portraits du Caire: Van Leo, Arman, Alban /2002: Mapping Sitting, on Portraiture and Photography mit Walid Raad. Er ist Herausgeber bzw. Mitherausgeber von drei Publikationen gleichen Titels. Seine Texte wurden in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht, z.B.: Parachute, Framework, Transition, Bomb, Al-Adaab, Al-Nahar und Zawaya.

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Eine unerwartete Renaissance
Theater in Ägypten heute
von Nehad Selaiha

Das Theater in verschiedenen Erscheinungsformen ist in Ägypten und der gesamten arabischen Welt historisch belegt; meist geht es auf Rituale und unterschiedlichste Formen der Volkskultur zurück. Dagegen ist ein textbasiertes Theater westlicher Art eine junge Erscheinung und Ergebnis eines intensiven Kulturkontakts mit Europa in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Syrien und der Libanon gelten als die Hauptakteure der Aneignung des europäischen – vornehmlich des englischen und französischen – dramatischen Erbes. In Ägypten interessierte man sich erst allmählich in der gebildeten Oberschicht für diese Form des „literarischen“, „anerkannten“ Theaters, meist unter dem Einfluss ausländischer Truppenpräsenz oder auch syrischer Emigranten.
Anfang des 20. Jahrhunderts hatte sich dieses europäisch orientierte Theatermodell weithin auf Kosten der traditionellen, populären Formen durchgesetzt. In dem Bestreben nach sozialer, moralischer und künstlerischer Anerkennung in einer islamisch geprägten Kultur, die der figürlichen Darstellung in der Kunst zutiefst skeptisch gegenübersteht, bewegten sich die führenden Gruppen der 1920er-Jahre, etwa die Ensembles um Georges Abyad, Youssef Wahbi oder Fatma Rushdi, zunehmend in Richtung „klassisch-europäischer“ dramatischer Tradition. Man übernahm gültige Konventionen, insbesondere einen deklamatorischen, sehr melodramatischen und stimmbetonten Schauspielstil, eine Betonung der „moralischen“ und didaktischen Aufgabe des Theaters als Gegensatz zu seiner libertären, anarchischen, karnevalesken Körperlichkeit.
Das Theater wurde wortorientierter, womit die Herausbildung einer neuen, gleichsam klassischen Dramatik in Ägypten einherging, exemplarisch etwa in Ahmad Shawqis Versdrama Der Tod der Kleopatra. Damit setzte er dem Shakespeareschen Porträt der legendären ägyptischen Königin etwas entgegen. Diese Erneuerung wurde unterstützt, als 1935 die Regierung aktiv wurde und das erste staatliche Theater gründete. Obwohl diese Initiative vielen Schauspielern während der folgenden Wirtschaftskrise das Überleben sicherte, wohingegen all die „respektablen“ und „seriösen“ Privat-Ensembles zerfielen, täuscht dies nicht über den Schaden hinweg, den dieser Schritt dem Theater verursacht hat. Schon die allererste Produktion, Tawfiq El-Hakims Ahl El-Kahf (Die Höhlenbewohner) zeigte, wohin die einseitige Entwicklung des ägyptischen Theaters gehen sollte.
Das Stück, das auf einer Episode des Korans basiert, ist in klassischem Arabisch verfasst. Es stammt von einem Autor, der den körperlichen Aspekt des Theaters verabscheute und der durch seinen gehobenen sozialen Hintergrund so lange gleichsam einer Gehirnwäsche unterzogen worden war, bis er, nach anfänglicher Faszination, Schauspieler verachtete. Für die nachfolgende Generation ägyptischer Dramatiker wurde El-Hakim zu einer verklärten (Gründer-)Figur. Bis heute trägt er den Ehrentitel „Vater des ägyptischen Dramas“. Mit dem Auftritt El-Hakims im Gewand des „Theaterreformers“ des dem geheiligten aristotelischen Regelwerk entsprechenden „ehrenwerten“, „literarischen“ Theaters, wendete man sich scheinbar endgültig von der Aufführung und vom Spektakel ab und hin zum Text, zur Literatur. Es dauerte lange, bis diese Wunde heilte und das Theater seine körperliche Vitalität wieder erlangte.
Der Großteil der Stücke in den 1950er- und 60er-Jahren entstand als Reaktion auf die gesellschaftspolitischen Umbrüche in der Nachfolge des Staatsstreichs von 1952 und stammte zumeist von linksgerichteten Literaten. Die sahen im Theater vor allem ein Forum der politischen Agitation und Debatte über aktuelle Themen wie ideologische Fragestellungen. Zwar gelten diese Stücke noch immer als „Goldenes Zeitalter der dramatischen Dichtung Ägyptens“, doch heute erscheinen viele dieser Bühnenwerke völlig veraltet. Die wirklich wichtigen Fragen nach den patriarchalen Familienverhältnissen, der Meinungs- und Glaubensfreiheit oder der traditionellen Rolle der Frau in den arabischen Gesellschaften blieben ausgespart. Dabei bedienen sich diese Stücke eines angestrengten revolutionären Tons, bringen dramaturgische Neuerungen (meist brechtianischer Art) ein und versuchen eine eigenständige, „nationale“ Alternative zum europäischen Theatermodell zu entwerfen. Schließlich ringen sie auch um eine volksnähere und egalitäre, eine umgangssprachlich orientierte Verschriftung, anstatt auf klassisches Schriftarabisch zu setzen.
Mit der Niederlage im Sechs-Tage-Krieg von 1967, dem Scheitern von Nassers „Nationalem Projekt“, den gesellschaftlichen und ökonomischen Erschütterungen in der Nachfolge von Sadats Wirtschaftspolitik der „Offenen Tür“ und dem dadurch bedingten rasanten Anstieg des religiösen Fundamentalismus in der Mittelschicht endete dieses „Goldene Zeitalter“. Das neue Regime interessierte sich nicht mehr für das Theater, weder als Propaganda-Organ noch als fadenscheinigen demokratischen Deckmantel. Das neue Regime gab sich zwar offiziell liberal, kontrollierte aber weiter das Theater und die Medien. Das Staatstheaterwesen blieb als jenes bürokratische Gebilde bestehen, das unter dem Vorgängerregime nach russischem Vorbild für Betrieb, Finanzierung und Kontrolle des Theaters eingerichtet worden war. Auch die Zensur ging weiter. Für Theaterschaffende mit einem Rest an Integrität wurde es praktisch unmöglich, eine Form der Unterstützung oder Arbeitsmöglichkeiten zu erhalten, ohne sich einer vorgegebenen ideologischen Linie unterzuordnen.
Zehn Jahre schien das ägyptische Theater richtungslos zu sein. Schauspielern oder Theatermachern blieb nur noch die Option auf ein vollkommen kommerzialisiertes Boulevardtheater und die Befriedigung der Wünsche neureicher arabischer Touristenscharen aus den Ölregionen. Die staatliche Produktionsunterstützung sank drastisch, während man ironischerweise begann, sich der Mittel des Bouevardtheaters zu bedienen in der Hoffnung auf höhere Einnahmen. Und obwohl die staatlichen Theatergruppen vorgaben, sich künstlerisch vom Boulevard abzugrenzen, weiterhin der „ernsthaften Dramatik“ zu huldigen und den Goldenen Sechzigern nachzutrauern, waren sich die meisten nicht zu schade, den weiblichen Körper zum billigen Blickfang zu degradieren, um so die begehrten und zahlungskräftigen arabischen Publikumsschichten zu ködern. Vor diesem Hintergrund waren die privat finanzierten, kommerziellen Unterhaltungstheater weitaus ehrlicher als die staatlichen Häuser. Sie pochten weniger auf den moralischen und ideologischen Anspruch und standen ganz offen dazu, seichte Unterhaltung anzubieten.
Der Verfall der Rolle des dramatischen Autors als Priester, Ideologe und politisches Sprachrohr führte in jenen Jahren auch dazu, dass der Körper des Schauspielers, vor allem aber der Körper der Schauspielerin und die gesamte Schauspielkunst zum Austragungsort einer schizophrenen, zwiespältigen und höchst emotional geführten Auseinandersetzung zwischen Faszination und Abscheu wurde.
Um die Zukunft des Theaters in Ägypten schien es schlecht bestellt: Es wurde aufgerieben zwischen den Interessen einer konservativen, linksgerichteten älteren Generation von Autoren, Kritikern und Künstlern, die hartnäckig daran festhielten, den Fortschritt durch Rückbesinnung zu erlangen, und einer jüngeren, aufmüpfigen Generation, die ihre eigene schöpferische Identität verwirklichen und ihren eigenen künstlerischen Ausdruck definieren wollte; das alles inmitten weit reichender historischer und kultureller Verwerfungen, dazu die aufsteigende religiöse Rechte, die im Theater ohnehin nur ein Werk des Teufels sah und viele Schauspielerinnen dazu nötigte, ihrem Beruf abzuschwören, Scham zu zeigen und sich mit dem Schleier zu verhüllen. Zudem war das Theater durch extreme Finanznöte, eine unnachgiebige Zensur und weitere staatliche Einflussnahme geschwächt. Und doch fand die Kunst des Theaters in Ägypten einen Ausweg aus dem Dilemma, einen „dritten Weg“, um Eugenio Barbas berühmten Satz zu bemühen. Dieser Weg ging mit einem langen Kampf um die Freiheit einher.
Als Hassan El-Kreidly in den frühen Achtzigerjahren nach einer künstlerischen Ausbildungsphase in Europa nach Ägypten zurückkehrte, musste er rasch feststellen, dass die Arbeit an einem staatlichen oder kommerziellen Theater seine Freiheit einschränkte und er weitgehende Zugeständnisse würde machen müssen, die entweder sein künstlerisches Talent angegriffen oder ihn zum Verrat an diesem Talent gezwungen hätten. Er verließ das Staatstheater Avant-garde, dessen Direktor er geworden war, und gründete mit Al-Warsha seine eigene, unabhängige Theatergruppe. Es war der erste Funke, der innerhalb weniger Jahre, bis zum Herbst 1990, eine ganz neue Theaterbewegung entzünden sollte, deren Vorlage El-Kreidly geliefert hatte: das Free Theatre Movement. Es war ein riskantes und auch einsames Unterfangen voller Fallen und Gefahren. Doch El-Kreidly verfolgte sein Ziel mit Leidenschaft, Entschlossenheit und Mut – nicht als ideologischer Agitator wie seine Vorgänger der 1960er-Jahre, sondern als ein glühender, rastloser Forscher, getrieben von der festen Überzeugung, dass echtes Theater bei seinem Ringen um Schönheit wagemutig, verstörend, ja gnadenlos sein muss. Was diese Anstrengungen letztlich bringen werden, kann man nicht genau vorhersagen, aber wie El-Kreidly nie müde wird zu wiederholen: „Der Weg ist wichtig, nicht das Ziel.“ Ganz gleich, welche seiner Produktionen man besonders schätzt, er hat immer eine Art kollektiven Befreiungsakt für Schauspieler und Zuschauer gleichermaßen angestrebt, eine Versöhnung der Gegensätze, ob sie nun kulturell oder sexuell, vergangen oder gegenwärtig sein mögen. Er hat immer für diesen flüchtigen, magischen Augenblick gearbeitet, wenn die Tänzerin zum Tanz wird, der Schauspieler zum Schauspiel, wenn sich der menschliche Leib auf wunderbare Weise in reine Energie verwandelt. Es ist das Streben nach diesen Momenten des Wunders, da „das Wort Fleisch wird“ und als physische/mystische Wirklichkeit wahrhaft erlebt werden kann, welche die Entwicklung von Al-Warsha und der meisten anderen freien Theatergruppen geleitet hat, die diesen steinigen und gefährlichen Weg gegangen sind.
Von diesen vielen Gruppen ist Ahmad El-Attars 1996 gegründete Formation El-Ma’bad (Der Tempel) besonders erwähnenswert. Als Autor und Regisseur seiner Produktionen unterscheiden sich El-Attars künstlerischer Stil, sein Temperament und auch seine Inspirationsquellen von El-Kreidly. Beiden gemeinsam ist die Liebe zum künstlerischen Experiment in Form, Sprache und Inszenierung sowie der Hang zu ungewöhnlichen Orten. Beide wenden höchste Sorgfalt für die rhythmische und visuelle Detailarbeit ihrer Inszenierungen auf. Und beiden ist die aktive Einbindung des Publikums wichtig. Dennoch unterscheiden sich die Arbeiten. El-Kreidly hat sich im Laufe der Jahre eher der Populärkultur und folkloristischen Traditionen zugewendet und sie sehr genau untersucht. Dabei hat er ihre hellsten Elemente herausgearbeitet und ihre ganze Vitalität in den Vordergrund gerückt. Aber immer hat er auch viele der darin enthaltenen moralischen und religiösen Zwangsstrukturen entlarvt. Demgegenüber fokussieren El-Attars Theaterstücke eher die zeitgenössische Wirklichkeit, wie sie von seiner Generation erlebt wird, und stellen viele der überkommenen, scheinbar fundamentalen Grundsätze auf den Prüfstand. Einige werden auf ihre Tauglichkeit hin abgeklopft, andere in ihrer ganzen Absurdität bloßgestellt. El-Attars Produktionen sind daher immer von einer Dringlichkeit getragen und teilen ein unmittelbares Anliegen mit, so künstlerisch raffiniert sie auch gearbeitet sein mögen. Life is beautiful or Waiting for my Uncle from America ist meiner Ansicht nach El-Attars bisher gelungenste Arbeit. Mit einer lebhaften und teils auch erschreckenden Szenenfolge wirft die Produktion einen neuen, verstörenden Blick auf die Lebenswirklichkeit einer heutigen ägyptischen Mittelstandsfamilie und zerpflückt gnadenlos das überkommene, vorherrschend sentimentale Bild, wie es Tag für Tag besonders durch die Medien vermittelt wird. Es ist ein unglaublich komisches, visuell äußerst innovatives und technisch nahezu makelloses Stück, dessen Gesamteindruck auf das durchschnittliche ägyptische Publikum dennoch einen fast gewaltsamen Schock ausübt und dadurch geradezu gefährlich in seinem Befreiungsgestus wirkt.

Aus dem Englischen von Franz Anton Cramer