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migrating sounds in and out of europe
Das Bollywood-Phänomen
Die indisch-britische Künstlerin DJ Ritu erzählt eine sehr persönliche Geschichte von 'English India'
28.04.2003
Popdeurope
Globalisierung, Identität, Jugendliche, Metropole, Multikulturalität, Popkultur, Rassismus, Ritual, Subkultur, Tradition
Vögel, dürstend nach Freude und Freiheit
Goodbye Manu Chao, hello Scorpions?
Globalisierung und kulturelle Vielfalt

John Kalsi/dhol foundation Brent Stirton / Liaison Agency
Susheela Raman
U-Cef
Bapi das Baul
Bollywood, die indische Filmindustrie aus Bombay, hat für die indisch-englische Musikszene eine immer größere Bedeutung. Die Soundtracks dieser Filme, in denen Musik und Tanz eine wichtige Rolle spielen, sind heute in allen großen Plattenläden zu kaufen und werden in den Clubs aufgelegt.

Wer sich heute in Londons Nachtleben auf die Suche begibt nach Asian Sounds, dürfte von der Vielfalt der asiatischen Club Scene überrascht sein. Während sich eine relativ große Zahl von Jugendlichen asiatischer Abstammung einen Bhangra/Garage Club für ihre "big night out" auswählen, geht eine immer kleiner werdende Zahl von älteren "Trendies" zu den wenigen noch verbliebenen "Asian Underground" Nächten. Die mit Abstand wichtigste Entwicklung findet aber unter den 20-somethings statt, die mit immer größerer Begeisterung eintauchen in die vielfältigen Bollywood- und R&B-Parties.

Es könnte viel gesagt werden über Bollywood: Die Multi-Millionen-Dollar-Industrie, die sich von Bombay aus übers Land verbreitet und mittlerweile größer und produktiver ist als Hollywood selbst. Fast täglich werden hier neue Filme produziert und mit ihnen Stars gemacht, von denen die meisten wie Götter verehrt werden. Aber all das wurde schon oft beschrieben, daher soll hier nun eine persönlichere Geschichte folgen.

Mit Fatboy Slims Worten könnte man sagen: "We’ve come a long way, baby", seit dem England der 1970er Jahre, in dem ich aufwuchs und in dem mein asiatisches Leben nur eine Welt war, die völlig isoliert und geheim gehalten wurde gegenüber meinen englischen Freunden. Ich ging zur Schule und tat "englische" Dinge: Netball spielen, über die Sendung Top of the Pops quatschen, typisch englischen Junkfood essen. Zuhause rotierte das Familienleben rund um Arbeit, Arbeit, Arbeit plus die gelegentlichen Chappatis und Familienfeste. Ab und zu, wenn sich meine Eltern nach der alten Heimat sehnten, hatten wir "spezielle" Outings, was bedeutete, dass wir uns einen indischen Film anschauten. Das taten wir nur ein Mal alle zwei Monate und gingen dazu in ein schäbiges, altes Kino in East London, wo ich auf der großen Leinwand plötzlich Gesichter sah, die so braun waren wie meins!

Ich erinnerte mich an jeden dieser indischen Filme auch noch Monate danach, denn der Eindruck war sehr stark: Die Musik, der Gesang, die Tänze, die Story, die wunderbaren Schauspieler und natürlich die Tatsache, dass der Film in jenem Land produziert wurde, aus dem ich stammte und das ich doch zu dieser Zeit noch nie gesehen oder betreten hatte: Indien! Ich lebte also in zwei Welten: England und das englische Indien, über das ich vor allem durch Bollywood-Filme informiert wurde.

Meine Mutter kaufte ihre Saris zu dieser Zeit in einem kleinen Shop namens Damini’s im Londoner East End. Damals gab es noch keine asiatischen Plattenläden, aber sehr zu meiner Freude verwöhnte mich meine Mum manchmal mit einer jener indischen Soundtrack-Platten, die man bei Damini’s auf einem der unteren Regale neben den Armreifen finden konnte. Ich sammelte die Soundtracks zu Klassikern wie "Aradhana", "Mera Naam Joker", "Pakeezah", "Sholay" – da machte es auch nichts, dass wir keinen Plattenspieler hatten. Zumindest hatte ich jetzt immer ein Stückchen meiner Lieblingsfilme, ein Stückchen "English India" zuhause!

Nun sind wir hier in der Gegenwart des Jahres 2002 und ich nehme meine original Film-Vinyls mit in Clubs auf der ganzen Welt und spiele sie für indisches wie nicht-indisches Publikum gleichermaßen. Mein "English India" ist kein Geheimnis mehr, sondern eine Erfahrung, die ich zu teilen gelernt habe. Meine beiden Clubs in London, "Kuch, Kuch" und "Club Kali", ziehen ein heterogenes Club-Publikum, das gemeinsam zu Bollywood Beats tanzt. Damini’s ist eine multinationale Modekette mit Filialen in Dubai, Europa und London. Es gibt sehr viele asiatische Plattenläden, aber man kann Platten wie "Kuch Kuch Hota Hai" mittlerweile auch in Megastores wie HMV kaufen... Curry und Chappati ist das Lieblingsessen der Briten und hat damit Fish’n’Chips verdrängt.

Vor allem in den letzten drei Jahren haben mehr und mehr Filme aus Bombay die britischen Mainstream Kino-Charts erobert – "Kabhi Kushi Khabie Gham" war sogar für drei Wochen auf dem ersten Platz! Das British Film Institute hat gerade ein acht Monate dauerndes, sehr profiliertes Projekt namens "Imagine Asia" lanciert, während das Victoria & Albert Museum eine riesige Ausstellung von Bollywood-Filmplakaten vorbereitet und kein geringerer als Andrew Lloyd Webber zeigt seine Theaterproduktion "Bombay Dreams" im Londoner Westend. Es ist alles Bollywood geworden hier im United Kingdom und man kann deutliche sehen: "We HAVE come a long way, baby."



Autor: DJ Ritu, 2002