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popdeurope
migrating sounds in and out of europe
Goodbye Manu Chao, hello Scorpions?
Geht die kreative Krise des Musikstandorts Deutschland vor allem auf strukturelle Misswirtschaft zurück?
28.04.2003
Popdeurope
Globalisierung, Identität, Jugendliche, Metropole, Multikulturalität, Popkultur, Rassismus, Ritual, Subkultur, Tradition
Das Bollywood-Phänomen
Vögel, dürstend nach Freude und Freiheit
Globalisierung und kulturelle Vielfalt

Berthold Seeliger, Leiter einer Berliner Konzertagentur, betrachtet die Frage nach der PopWelt Europa unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten und stellt dabei wesentliche Unterschiede zwischen Deutschland, Frankreich und England fest. So sind die Bedingungen für nicht-europäische Musiker und Musikerinnen bei unseren europäischen Nachbarn ungleich besser als am 'Musikstandort Deutschland'.

"Allein provinzielle Sachen landen die großen Treffer in der Kunst. Es beginnt immer mit einer (wiedergefundenen) Identität und Wurzeln – und am Ende des Tages ist das Resultat alles andere als provinziell." (Dieter Meier, "Yello")

Im Musikgeschäft kann man die Aussage "Localize? Globalize!" unter zwei Aspekten be-trachten: Die künstlerische Seite beantwortet Dieter Meier, der Kreativkopf der Schweizer Pop-Innovatoren Yello, mit einem fetten "Localize"! In ein ähnliches Alphorn stößt Meiers Mit-Schweizer Töbi Tobler von den "Appenzeller Space Schöttl", einer Gruppe, die nur live spielte und keinerlei Konserven aufnahm: "Am liebsten mache ich Musik, die auch ein Afri-kaner versteht oder ein Schwede oder ein Amerikaner...Ich wohne in der Region, aber mein Wunsch wäre, so zu spielen, dass das keine Rolle mehr spielt. Wenn ich Politik suchen müsste in unserer Musik, dann wäre meine Politik, solche Musik zu machen, dass die Kom-munikation, das Zusammensein der Menschen fein wird, dass die Schwingung spürbar wird von den Menschen..."

Natürlich sind heutzutage lokale Musiker längst mit ihren Ohren weltweit unterwegs, und dort, wo anspruchsvolle Popmusik oder Weltmusik entsteht, lässt sich die gekonnte Mischung aus lokaler Identität und globalisierter Weltläufigkeit unschwer vernehmen. Und das hat recht wenig mit dem "Modern Talking" der Musikindustrie zu tun, der es letztlich bei "Globalisierung" hauptsächlich darauf ankommt, ihre Produkte möglichst konform und damit welteinheitlich verkaufbar zu machen.

Auf der anderen Seite muss die Frage nach einer "PopWelt Europa" natürlich auch unter wirt-schaftlichen Gesichtspunkten erörtert werden. Dabei fällt es auf, dass Musik, die kunst- und anspruchsvoll mit lokaler Identität spielt und dennoch "global" erfolgreich ist, in aller Regel eher aus Frankreich oder England kommt denn aus Deutschland. Die Frage der Produktionsbedingungen, denen Künstler unterliegen, spielt hierbei eine zentrale Rolle, die in der Diskussion über Musik oft sträflich vernachlässigt wird.

Nehmen wir das Beispiel Frankreich. Man mag von dem Besteuerungs- und Versicherungssystem des französischen Nachbarn halten, was man will, dennoch muss man zugeben, dass die französische Regierung ein System geschaffen hat das es ausübenden Musikern ermöglicht, sozial abgesichert ihrer Kunst nachzugehen. Ab einer bestimmten Anzahl von Auftritten pro Jahr greift eine umfassende Sozialversicherung bis hin zu einer Art "Arbeitslosengeld" für Zeiten, in denen die Musiker keine Auftritte haben.

Gleichzeitig besteht in Frankreich ein dichtes Netz von opulent ausgestatteten Kulturzentren und eine vielfältige Festivallandschaft, die staatlich subventioniert wird. Der französische Staat verbindet hierbei mit dem Stichwort "Kulturförderung" nicht nur eine Einbahnstrasse des Kulturexports, sondern subventioniert etwa die Flugkosten afrikanischer Musiker, wenn diese in Frankreich (oder sogar in ganz Europa) auf Tournee gehen wollen. So wird eine Basis dafür gelegt, dass sich Kulturen austauschen und befruchten können, während hierzulande Visumsbestimmungen für nichteuropäische MusikerInnen oder die Ausländersteuer den kul-turellen Austausch erschweren und das Gegenteil von einem weltoffenen Deutschland beför-dern.

Gerade Berlin gibt ja mit seinem Clubsterben ein eindrucksvolles Beispiel für die Verlogenheit öffentlicher Kulturpolitik: Da wird mit einem zweistelligen Millionenbetrag der Umzug einer der reichsten Plattenfirmen der Welt, des Global Players "Universal Music", an die Spree subventioniert, während die örtliche Club-Szene darbt, es an geeigneten Venues mangelt.

Ich denke, dass es Aufgabe von Kulturpolitik wäre, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Künstler ihrer Kultur nachgehen können. Beispiele könnten sein:
- Subventionierung von Zeitkultur (technische Ausstattung von Musikclubs, Erleichterung von Bau- und Lärmbestimmungen)
- Verbesserung der sozialen Absicherung von Künstlern anstelle der vollzogenen Kürzung des Staatszuschusses zur Künstlersozialversicherung
- Erleichterung und Förderung des kulturellen Austausches (Stichpunkte Ausländersteuer, Visaprobleme)

Und erst wenn mit einer Vielzahl von Maßnahmen auch hierzulande ein freundliches Klima für "Zeit-Kultur" entsteht, erst dann kann man erwarten, dass das zarte Pflänzchen "lokaler Identität" auch "global" eine Rolle spielt. Bis dahin bleibt uns nur, neidisch auf den westlichen Nachbarn zu schauen und wieder einmal zu konstatieren, "Frankreich, du hast es besser".



Autor: Berthold Seliger