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DisORIENTation
Zeitgenössische arabische Künstler aus dem Nahen Osten
Wege durch Literatur und Exil
Hussain Al-Mozany
24.07.2003
Erinnerung, Gewalt, Identität, Intifada, Konflikt, Wüste
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Hussain Al-Mozany, 1954 im Süden Iraks geboren und in Bagdad aufgewachsen, lebt seit 1980 in Deutschland. Nach zahlreichen arabischsprachigen Veröffentlichungen hat er seine jüngsten beiden Romane auf deutsch geschrieben. Zentrales Thema seiner Werke ist die Suche nach der Identität im fremden Land. Im Folgenden gibt der Autor, Übersetzer und Journalist Hussain Al-Mozany Auskunft über sein Selbstverständnis als Schriftsteller, über das Exil und über die zeitgenössische irakische Literatur.

1. Sie haben Ihre jüngsten Bücher "Der Marschländer" und "Mansur oder Der Duft des Abendlandes" auf Deutsch geschrieben. Gibt es arabische Übersetzungen und werden Ihre Werke in der arabischen Literaturwelt wahrgenommen, oder gelten Sie dort als „deutscher“ Autor?

Die Grundidee des Romans "Mansur oder Der Duft des Abendlandes" habe ich zunächst in einer arabischen Version entwickelt; sie erschien 1995 als Kurzgeschichte in meinem arabischen Erzählband "Harif Al-Mudun" (Herbst der Städte). Von meinem ersten Roman "Der Marschländer" gibt es dagegen weder eine arabische Version noch eine Übersetzung. Nachdem ich jahrzehntelang in arabischer Sprache veröffentlicht habe, hielt ich es für wenig sinnvoll, weiterhin für das arabische Feuilleton zu schreiben. Für mich bedeutete es eine doppelte Entfremdung – nämlich für einen fiktiven arabischen Leser zu schreiben und weiterhin in der Anonymität zu bleiben. Schließlich gewann ich den Eindruck, dass ich nun in der Lage wäre, in Deutsch zu schreiben, und zwar für einen realen Leser. Darin sah ich auch einen Ausweg aus der selbstverschuldeten Anonymität.
Dies bewirkte eine Auseinandersetzung mit der modernen deutschen Sprache und Literatur. Schreiben ist für mich eine ästhetische Bearbeitung der Empfindung und der technische Umgang mit den Möglichkeiten der deutschen Sprache. Deshalb kümmere ich mich seit langem nicht mehr um die Reaktionen der arabischen Presse. Dies gilt auch für meine Haltung gegenüber den arabischen Literaten. Das ist ein nicht beabsichtigter Bruch mit der arabischen Welt, deren Belange mich selbstverständlich beschäftigen. Aber ein zweisprachiger Schriftsteller will ich nicht mehr sein.

2. Mit Ihrem Schelmenroman "Mansur oder Der Duft des Abendlandes" karikieren Sie sowohl die deutsche Zuwanderungspolitik wie auch die arabische Exilgemeinde in Deutschland. Ist Ihre Literatur ein Vermittlungsversuch zwischen deutschen Ängsten und exil-arabischen Selbstbespiegelungen?

Zu beurteilen, ob meine Literatur eine Vermittlung zwischen deutscher Verschanzungspolitik und arabischer Steifheit ist, überlasse ich anderen. Im Grunde will ich gar nicht vermitteln, höchstens mitteilen. Mir geht es um die Bearbeitung meiner Erfahrungen in der Fremde. Es geht um dieses nahezu unüberwindliche „wie“. Wie kann ich nach zehnjährigem Studium der Literatur und nach der Heimsuchung, ständig in einer Ausnahmesituation zu leben, ein Kunstwerk schaffen?

3. Sie haben den Irak 1978 verlassen und leben seit 1980 in Deutschland. Haben Sie noch Kontakte in den Irak und wie ist Ihr Verhältnis zur irakischen Exilszene in Deutschland?

Seit etwa 25 Jahren habe ich leider nur spärliche Kontakte in den Irak. Die Inlandiraker wissen um die Bedeutung der irakischen Exilschriftsteller. Dennoch wird deren Schicksal bei einer Heimkehr wahrscheinlich nicht anders sein als das der deutschen Exilliteraten: Die berühmtesten wie Thomas Mann und Bertolt Brecht wurden enthusiastisch empfangen und honoriert, die weniger Berühmten ignorierte man.
Die interkulturellen Beziehungen der irakischen Exilliteraten gestalten sich naturgemäß schwer, da Literaten auch unter normalen Bedingungen problematisch sind. Trotzdem ist dieser Tatbestand unentbehrlich für die Entwicklung der Exilanten. Unter einer kreativen „Vereinsamung“ zu leiden, ist fruchtbarer und vielleicht auch gesünder als ganz der schwermütigen Nostalgie zu verfallen. Am Ende bleibt das Exil eine schlimme Erfahrung, selbst wenn man es unter den zufrieden gestellten Deutschen erlebt.

4. Gibt es Ihrer Kenntnis nach heute eine Literaturszene im Irak, oder wird die maßgebliche irakische Gegenwartsliteratur außerhalb des Landes geschrieben?

Es gibt wohl Propagandaschriftsteller, die Saddam Husseins Machenschaften und seine Kriege verherrlichen. Ganze Bibliotheken sind aus Angst, Heuchelei oder Anbiederung entstanden.
Bezogen auf den zweiten Teil Ihrer Frage muss man zuerst einen Blick auf die Lage der Intellektuellen in Deutschland und Österreich unter dem Nationalsozialismus werfen. Mit wenigen Ausnahme verließen fast alle wichtigen Kulturschaffenden ihre Heimat. Obwohl die deutsche Exilliteratur von der Grausamkeit und Zerstörung einer ruchlosen Diktatur geprägt war, bot sie ein lebendiges Beispiel für den geistigen Widerstand.
Die Lage der irakischen Literatur ist vergleichbar. Hunderte von Schriftstellern verließen das Land. Im Gegensatz zum deutschen dauert das irakische Exil bis jetzt doppelt so lang, und es gibt keine Aussicht auf eine baldige Rückkehr. Trotz allem ist das Exil eine Chance, zumindest eine Überlebenschance. Natürlich zehren viele irakische Exilliteraten vom alten Ruhm, andere dagegen experimentieren, kämpfen um den eigenen Stil, aber die meisten sind damit beschäftigt, in der Fremde überhaupt Fuß zu fassen. Da im Irak die Anpassung eher die Regel ist, bleibt die irakische Exilliteratur aufgrund der ihr zugrunde liegenden Möglichkeiten, allen voran der Freiheit, maßgeblich.

Autor: Hussain Al-Mozany