Die musikalische Spiritualität des Nahen Ostens ist eng verknüpft mit klaren melodischen Einheiten und einem tiefen Respekt für Texte und Silben. Exakt eingehaltene Rhythmen und nicht zuletzt die Stille bleiben eine arabische Kunst. Die Musik des Libanon und des Nahen Osten ist seit langem bekannt dafür, rein dekorative Elemente zu vermeiden, Nüchernheit und Einfachheit stehen auf der Tagesordnung. Die libanesische Musik der Sechzigerjahre adaptierte die neoklassischen Klangmuster der europäischen Zwischenkriegszeit und etablierte damit einen ästhetischen Kanon, der in einem deutlichen Gegensatz zu dem byzantisch-ottomanischen Geschmack Kairos stand. Außerdem wurden seit den Fünfigerjahren hybride Meisterwerke geschaffen, die klassische westliche und östliche Musik mit Jazz, Pop oder Rap vermischte. Im Einklang mit diesen Tendenzen machte Ziad Rahbani, der jüngste der berühmten Rahbani-Familie, seine Mutter Feyrouz, die Diva des libanesischen Chansons, zu einer erfolgreichen Barsängerin. Niemand hätte ihr da sie doch Mütterlichkeit, Keuschheit und Engelhaftigkeit geradezu verkörperte das zugetraut. Mit Kifak Inta spielte Feyrouz das erfolgreichste libanesische Album der Neunzigerjahre ein. Durch die heutige Musikszene im Libanon und im Orient verläuft ein deutlicher Bruch: Es ist der zwischen der arabischen Disco und allen anderen Musikstilen. Diese Trennlinie hat auch eine wirtschaftliche Seite, denn die arabische Disco ist zu einer Währung und zum Broterwerb reicher Erdölstars geworden. Gleichzeitig sind, vor allem in den Golfstaaten, die großen Vokaltraditionen ausgestorben. Im Libanon gibt es keine natürlichen Ressourcen. Dafür gibt es Regen, Sonne, Berge, Schnee und das Meer. Alle einheimischen Musikstile erzählen vom Leben auf dem Dorf, in den Städten und an den Höfen der lokalen Herrscher. Doch auch hier ist aus der Musik eine Ware geworden, die dem Meistbietenden gehört. Die Folge ist, dass die Rituale einiger Beduinen der arabischen Halbinsel und der Golfstaaten momentan in aller Ohren sind, während das Erbe der Jahrtausende alten libanesischen Küstenstädte von der Bürokratie des Kultusministeriums verschlampt wird. Das Chanson arabischer Sprache entwickelt sich rapide zu einem Showbiz nach dem jeweiligen Geschmack der einzelnen Regionen. Die Magnaten der Produktion wiederum auf der arabischen Halbinsel halten die meisten Künstler so kurz an der Leine, dass viele vielversprechenden Sänger ihr Potenzial nicht entwickeln können und letztendlich auf ein oder zwei Melodien und Rhythmen pro Lied beschränkt sind. Heute besteht die Kunst darin, die Zuhörer in den Bann vehackstückter Töne zu ziehen, um einen unendlichen Fluss von Klang und Bild zu erzeugen. Die enorme Lautstärke, die früher Veranstaltungen unter freiem Himmel vorbehalten war in ihrer Funktion dem Wummern des westlichen Techno nicht unähnlich ist zwar für die Tänzer nicht schlecht, Zuhörern ist sie aber eine Qual. Die jungen Leute in Beirut neigen dazu, ihre eigenen Saturday-Night Tanzschritte aus einem Gemisch von allepischen, kurdischen und eufratischen Elementen zusammenzusetzen, unterlegt von Breakdance und Hiphop eine spontan-narzistische Hybridisierung. Gerade bei den Hiphoppern lohnt der Vergleich mit Ägypten. Die Beiruter haben tatsächlich wenig Ähnlichkeit mit ihren Kollegen aus Kairo. Letztere sind vielleicht musikalisch authentischer und überzeugender, erzählen aber ausschließlich von den Enttäuschungen der Liebe. In Beirut erzählen sie von der Unmöglichkeit, Auto zu fahren, von der Unmöglichkeit, frei zu reden, von der Unmöglichkeit zu überleben, von Ratten und Abfällen auf den Straßen, von Wasser, Strom und verkorksten Beziehungen. Eine dieser Gruppen nennt sich geradezu programmatisch Aks'ser "Durchfahrt verboten". Der Kairoer Stil des Hiphop hat dagegen seine Wurzeln in den altägyptischen Gesängen der Geisterbeschwörung. Sein wichtigster Vertreter nennt sich Ahmad Adawiya und stellt schon seit den Siebzigerjahren in seinen Texten und seinem Outfit eine ambivalente Sexualität zur Schau. Die jüngeren Kairoer Bands sind immer dröhnender geworden und spielen, von ein paar perkussiven Elementen abgesehen, ausschließlich mit elektronischen Instrumenten. Doch ihre Rhythmen und Melodien könnten gar nicht traditioneller sein, und auch ihre Texte handeln ausschließlich vom Liebeskummer. Ihre Altstimmen haben eine Qualität, die in etwa dem Register der westlichen Renaissance entspricht, ihr extrem näselndes Timbre findet man dagegen sonst nur bei traditionellen religiösen Gesängen. Den arabischen Völkern fehlt eine moderne musikalische Identität und sie sehen sich deshalb genötigt, neue Vorstellungen von anderswo her zu übernehmen. So machte etwa der ägyptische Komponist Hami Al-Sha'iri den Sänger Amro Diab in den Neunzigerjahren mit einer Musik zum Popstar, die im Grunde nichts anderes als ein Retro-Disco aus den Siebzigern ist. Sharnaubi, ein anderer Komponist, brachte die Sängerin Warda so weit, dass sie ihren herrlichen melodiösen Stil zugunsten eines sexy Sprechgesanges aufgab und eine Jahrhunderte alte Kunst demontierte, deren unumstrittene Königin sie seit dem Tod der großen Oum Kalthoum war und das nur, um eine schlichte Popsängerin zu werden. Dabei findet der alte Stil überall sein Publikum, ist in jeder Hinsicht gelungen und sogar genial. Ein positives Beispiel sei daher zum Schluss genannt: In den Filmen des großen Regisseurs Youssef Chahine kann man endlich wieder einfache musikalische Ideale hören, mit der Stimme von Mohamed Mounir von wem auch sonst. von Toufic Kerbage
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