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Festival of Sacred Music
Begegnungen – Konzerte – Gespräche
Quellen buddhistischen Wissens
Der Vortrag liturgischen Gesangs aus der Shuni-e Zeremonie des Tôdai-ji-Tempels
20.12.2002
Festival of Sacred Music
Buddhismus, Christentum, Harmonie, Islam, Judentum, Kommunikation, Liebe, Mystik, Ritual, Sufismus, Trance
Die Kunst religiöser Erfahrung
Sakrale Musik als Gegenwärtigkeit
und Transzendenz

Die Seele der Welt
Musik, Religion, Ritus und Mystik
in den traditionellen iranischen Kulturen I

Musik, Religion, Ritus und Mystik
in den traditionellen iranischen Kulturen II


Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2001, das erste des 21 Jh., zum Jahr des Dialoges zwischen den Kulturen erklärt, nachdem das 20 Jh. von Kriegen größten Ausmaßes geprägt war. Aber auch dieser Wunsch nach einer Zukunft in einem friedvollen Jahrhundert war vergeblich, denn am 11. September geschahen die Terroranschläge in Amerika und hatten die Vergeltungsluftangriffe in Afghanistan zur Folge.

Vielleicht war eine solche Entwicklung sogar seit der Zerstörung der großen Buddha-Statuen in Bamian vorhersehbar. Trotzdem sollte es selbstverständlich sein, daß für eine globale Welt in der vielerlei verschiedene Menschen unterschiedlichster Ethnien, Religionen und Kulturen zusammenleben, der Dialog zwischen den Zivilisationen notwendig ist.
In einer solchen Weltsituation hat das Haus der Kulturen der Welt ein Festival religiöser Weltmusik geplant, bei dem es auch um den Dialog zwischen den Religionen geht und zu dem wir, die Mönche des Todai-ji, zur diesjährigen zweiten Ausführung, eingeladen worden sind. Im Todai-ji wird seit der Mitte des 8. Jh. eine buddhistische Zeremonie, bei der um Frieden in der Welt und das Glück der Menschen gebetet wird, in ununterbrochener Linie fortgeführt. Selbstverständlich wird sie stets als religiöse Zeremonie ausgeführt und so gut wie nie als einfache Musikaufführung außerhalb des Tempels.
Jedoch im Sinne eines Festivals religiöser Musik in der gegenwärtigen beunruhigenden Weltsituation haben wir Mönche im Todai-ji gemeinsam entschieden, teilzunehmen, unsere traditionelle Zeremonie zum ersten Mal in Deutschland zu planen und den Menschen in Europa vorzustellen. Möglicherweise umfaßt sie schwer Verständliches für Menschen anderer religiöser oder kultureller Traditionen, aber ich glaube, daß es trotz allem in unserer buddhistischen Zeremonie allgemeinere, gemeinsame Elemente gibt.

Die Entstehung des Buddhismus
Vor ca. 2.500 Jahren wurde der Buddhismus von Shakyamuni Buddha gegründet. Sein Geburtsname war Gautama Siddharta und er war ein Prinz in einem kleinen Land in Indien. Jedoch nach einiger Zeit begann er sich [immer stärker] über Fragen wie "Was ist der Mensch?" oder "Was bedeutet ein Menschenleben?" Gedanken zu machen. Um deren Wahrheit zu ergründen, verwarf er seinen Prinzenrang und begann seine Reise auf dem Weg der meditativen Übung. Nach 6 Jahren, in denen er sich strengsten, leidvollen Übungen wie z.B. dem Fasten gewidmet hatte, glaubte Siddharta, daß hiermit bestimmt nicht die Wahrheit zutage träte, […] sondern setzte sich stattdessen unter einen großen Baum und begab sich in tiefe Meditation. Nach einigen Tagen geschah in ihm eine große Veränderung und seine bisher gehegten Zweifel lösten sich. Er erreichte die sogenannte Erleuchtung und wurde ein "Buddha", "der Erleuchtete". Zu diesem Zeitpunkt war er 35 Jahre alt.


Aufgrund seiner eigenen Erleuchtungserfahrung fing Buddha an, die verschiedenen Leiden der Menschen zu erklären. In den fünfundvierzig Jahren bis zu seinem Tod im Alter von achtzig Jahren versuchte er die Menschen zu retten und versammelte viele Schüler und Gläubige um sich. Schließlich verbreitete sich die Lehre Buddhas in ganz Indien. Als jedoch im 2. Jh v.u.Z. das Herrschergeschlecht der Maurya verging, fielen vor allem im Westen Indiens nach und nach fremde Völker aus angrenzenden Ländern ein und während einiger Jahrhunderte setzten sich die Unruhen fort. Menschen mußten die schmerzliche Erfahrung machen, daß Plünderungen, schwere Diebstähle und Mord zum täglichen Geschehen gehörten und suchten im Gedanken an den (oder: einen) Buddha die Rettung.

Der Mahayana Buddhismus und der Glaube an den Bodhisattva Avalokitesvara
In dieser Zeit kommt das Konzept eines Bodhisattvas auf. Ein Bodhisattva ist eine Person, die die Lehre Buddhas und die Wahrheit der Erleuchtung erfahren hat und sich in dem Moment aufgrund ihres Mitgefühls (Skt. karuna) entscheidet, die Lebewesen der wirklichen Welt zu retten. Sie sparen keine Mühe und widmen sich der Verbesserung und Reinigung der Welt. Im Gegensatz zu den "Hauslosen", d.h. den Mönchen und Nonnen, die die eigene Erleuchtung suchen, streben die Bodhisattvas danach, soviel Lebewesen wie möglich aus dem leidhaften Leben zu retten. Man unterscheidet irdische und transzendentale Bodhisattvas. Irdische Bodhisattvas leben und wirken als gute Menschen in der Welt, transzendentale haben eine Heiligkeitsstufe erreicht, in der sie zwar nicht mehr auf der Erde sind, aber wie "Schutzengel" eingreifen können. Grundsätzlicher Unterschied zur vorherigen Form des Buddhismus, des Theravada Buddhismus ist nun, daß mit dem Aufkommen des Mahayana Buddhismus mehr Menschen erlöst werden konnten. Diese Form des Buddhismus kam um die Wende der Zeitrechnung auf. Man sagt, daß ein Grund dafür in der Berührung des Buddhismus mit westlicher Religion und Kultur aus z.B. Griechenland oder dem Iran zu suchen sei. Bodhisattvas wurden zu Verehrungsobjekten; die wohl berühmtesten unter ihnen sind Maitreya und Avalokitesvara.
Der Bodhisattva Maitreya erscheint als Retter aus dieser Welt in der Gestalt eines Buddha in weiter Zukunft auf der Erde, bis dahin verbleibt er in dem überweltlichen Tushita Himmel. Indessen wird vom Bodhisattva Avalokitesvara geglaubt, daß er, wenn jemand leidet und dann seinen Namen von ganzem Herzen ausspricht, überall erscheinen würde, um diesem Menschen zu helfen. Der erstere übernimmt die Rettung von zeitlicher Seite, der zweite von räumlicher.
Seit der Herrschaft der Kusana (ca. 60 bis 230 n.u.Z.) war eine Triade des historischen Buddha Shakaymuni mit diesen beiden Bodhisattvas sehr verbreitet und es entstanden Buddhastatuen in Form konkreter Menschen. Als Bildhauwerk wurde dies entweder in Triadenform oder in einer Gruppe von fünf Gottheiten ausgedrückt, bei der der Triade noch der Gott Brahma (ein Gott, der vom Buddha zum Predigen verpflichtet wurde) und der Gott Indra (indischer Heldengott) zugefügt wurde. Solche Statuen wurden z.B. in Gandhara im heutigen Afghanistan (ungefähr dort, wo Alexander der Große seinen Zug nach Westen beendete) hergestellt.
Die Menschen projezierten ihre Wünsche und Sehnsüchte nach vielerlei Welten und Übernatürlichem auf die Gestalt des Bodhisattva Avalokitesvara und so entstanden bspw. der elfköpfige Avalokitesvara (der alle Welten überwacht), der tausendärmige Avalokitesvara (der mit seinen Armen die Menschen aus den verschiedenen Welten rettet) oder Amoghapâs´a (rettet restlos alle Lebewesen). Mit der Verbreitung des Buddhismus nach Osten kamen diese Vorstellungen im 6. Jh. nach Japan.
Der Buddhismus in Japan und der Bau des Todai-ji
Von alters her hat man innerhalb des einheimischen japanischen Glauben in allerlei Dingen die Existenz einer Seele anerkannt. In eine solche Glaubenswelt wurde der Buddhismus als eine fremde Religion überliefert. Zu Anfang entstand noch Streit zwischen den die verschiedenen Religionen verehrenden Gruppen, aber beide Seiten erkannten, daß man einander nicht als Gegner gegenüberstehen, sondern sich vermischen sollte. Diejenigen, die diesen Inhalt des Buddhismus energisch vorantrieben, gehörten zur herrschenden Schicht Japans. Vor allem der Kaiser Shomu (Regierungszeit 724-749) im 8. Jh. war in dieser Hinsicht sehr eifrig, er bemühte sich, das buddhistische Denken in der Politik umzusetzen. Auch an der Verbreitung des Glaubens an Avalokitesvara hatte er teil, so z.B. dadurch, daß er in jeder Provinz eine Statue von Avalokitesvara schnitzen und aufstellen ließ.
In der ersten Hälfte des 8. Jh. entstand in Japan eine neues zentralistisch regiertes Staatsssystem, das auf dem damaligen chinesischen Rechtssystem basierte. Gleichzeitig war es ein Zeitalter, in dem sich Naturkatastrophen wie Trockenheit, Hungersnöte oder Erdbeben ereigneten. 735 bis 737 verbreitete sich eine Pockenepedemie explosionsartig aus, viele Menschen starben und die bäuerlichen Dörfer waren extrem verarmt. Kaiser Shomu ließ den Bedürftigen durch die Statthalter Getreide austeilen. Er verlieh Amnestien an diejenigen, die zum nackten Überleben sündigten, da er ihre Sünde als seinen Fehler betrachtet, weil er das Unglück nicht hat verhindern können. Schließlich entschied er, daß die Rettung des Volkes aus dieser miserablen Situation, die Führung des Landes in den Wohlstand letztlich nur durch die Verbreitung der buddhistischen Lehre im ganzen Land möglich sei. Als eine Maßnahme ließ der Kaiser in allen Provinzen jeweils einen Mönchs- und einen Nonnentempel bauen. Darüber hinaus ließ er auf dem Tempelgebiet des heutigen Todai-ji, dem Provinztempel der Hauptstadt Heijô-kyô den sechzehn Meter hohen Großen Buddha Vairocana aus Bronze konstruieren, der, sozusagen symbolisch, die etwas mehr als sechzig Provinztempel im ganzen Land überschaut. Zu dieser Konstruktionsarbeit rief der Kaiser Shomu auch das Volk zur Mitarbeit auf. Von der Konzeption bis zur Verwirklichung dieses Projektes dauerte es mehr als zehn Jahre. Dieses Jahr ist es das 1250. Jahr seit der Augenöffnungszeremonie des Großen Buddha.

Die Entstehung der Shuni-e Zeremonie
Die Shuni-e Zeremonie in der "Halle des zweiten Monats" (J. Nigatsu-dô; benannt nach der in diesem Monat ausgeführten Shuni-e Zeremonie) des Todai-ji wurde im selben Jahr wie die Augenöffnungszeremonie des Großen Buddha von dem Abt Jitchû erstmals ausgeführt. Jitchû war der älteste Schüler des Erzbischofs Rôben, dem ersten Großvorsteher des Todai-ji, der sehr von Kaiser Shomu unterstützt wurde. Jitchû versuchte, der Bitte um Frieden im Land und das Wohlergehen des Volkes im Geiste des Kaisers Shomu eine rituelle Form zu geben.
Die Shuni-e ist eine buddhistische Zeremonie, die, strenggenommen, laut Mondkalender im zweiten Monat (entspricht dem Monat März) abhalten wird. In Bezug auf den Inhalt wird sie auch wörtlich "Buße [vor] den elf Gesichtern". Dies bedeutet, daß man vor dem elfköpfigen Avalokitesvara um Vergebung für die vielfältigen, im täglichen Leben begangenen Fehler bittet.
Durch die uns Menschen wesenhaften sogenannten Drei Gifte Gier, Haß und Unwissenheit begehen wir ständig viele Sünden, die dann das Herz (den Geist) bedecken, wodurch man schließlich krank an Körper und Geist wird. Aus diesem Grund entstand schon im alten Buddhismus der Gedanke, daß man durch die Vergebung von Sünden und das Erreichen eines reinen Körpers und Geistes schlechtes Karma, das man sich selbst zuzuschreiben hat, wiedergutmachen, Katastrophen und Unglück entfernen, sowie das Glück zu sich rufen könne. Die Shuni-e Zeremonie entstand aus einem solchen Gedanken. Man glaubte, daß Aufstände, Epedemien und Naturkatastrophen die Sünden des Staates als Ganzen seien, die durch die Mönche als Mittler für die Menschen vergeben werden und daß durch die Verdienste, die bei einer solchen Zeremonie erworben werden, die Krankheiten des Staates entfernt werden können. Außerdem bemühte man sich hierdurch um eine reiche Ernte, das Glück Aller und den Frieden im Lande. Und aus diesem Grund hat Jitchu dann auch als Stütze, als zentrales Verehrungsobjekt für das Bußeritual die elfköpfige Avalokitesvara gewählt, die, wenn man darum bittet, keine Mühe scheut und überall erscheint um die Menschen zu retten.

Rengyô-shu: die Übenden
Damit schließlich auch die Sünden von Staat und Land vergeben werden können, bedarf es einer großangelegten Zeremonie und einer würdigen, besonderen Gruppe Mönche. Bußerituale im allgemeinen sind Zeremonien, die von einer großen Gruppe Mönche ausgeführt werden und auch die Shuni-e entstand als eine solche Zeremonie. Früher gab es bis sechsundzwanzig Teilnehmer, heute sind es elf. Sie heißen Rengyô-shu (etwa: "die Übenden") und sind zwischen zwanzig und siebzig Jahre alt. Diese Mönche verteilen sich auf die vier oberen und die restlichen sieben Ränge und jeder einzelne hat seine eigene Aufgabe. Außer den Mönchen gibt es Helfer, die direkt mit der Shuni-e Zeremonie zutun haben, insgesamt sind es über dreißig Personen.
Die Rengyô-shu büßen natürlich für ihre eigene Sünden - weil sie aber beim Bodhisattva Avalokitesvara um das Glück aller Menschen bitten und für die Sünden der anderen stellvertretend büßen, erfüllen sie eine Vermittlerrolle zwischen den Menschen und dem Bodhisattva Avalokitesvara. Dazu brauchen sie eine große Bereitschaft zur Sühne und müssen, spirituell gesehen, sehr kultiviert sein. Hierin besteht ihre meditative Übung/Aufgabe.

Der Ablauf der Shuni-e Zeremonie
Die Shuni-e ist eine religiöse Übung, die den langen Zeitraum von fast einem Monat umfasst und in zwei Hauptteile unterteilt ist. Die erste, vorbereitende Übung dauert nach heutigem Kalender vom 20. bis zum 28. Februar und die Hauptübung vom 1. bis zum 14. März.
Während der gesamten Übung leben die Mönche in Klausur, in der Gruppe, von der Außenwelt nahezu abgeschnitten. Bei der vorbereitenden Übung reinigen sie nach und nach Körper und Geist und bereiten sich auf die Hauptzeremonie vor. Diese Vorbereitungen umfassen das Herstellen einer Robe aus japanischem Papier, das als Untergewand während der Zeremonie getragen wird; das Basteln von Kamelienblüten aus Papier und dem Holz des Tara-Baumes (eine Kirschart), die dann zum Schmücken des Altars der Nigatsu Halle dienen, sowie das Üben der Rezitation von Sutren (Sutra = heilige Schrift des Buddhismus), die mit Lesehilfen zur Erklärung des liturgischen Gesanges versehen sind.
Auch die Hauptübung ist unterteilt: in die erste Hälfte (die ersten sieben Tage) und die letzte Hälfte (die letzten sieben Tage). Ein Tag wiederum ist in die sogenannten "Übungen der Sechs Stunden" (J. Rokuji no gyôbô) gegliedert: die Mittagswache, die Sonnenuntergangswache, die erste Nachtwache, die Mittlere Nachtwache, die Letzte Nachtwache und die Sonnenaufgangswache. In diesen einzelnen Abschnitten werden unterschiedliche Zeremonien ausgeführt, die grundlegende ist aber die Bußezeremonie, die auch das Rezitieren von Sutren oder anderen Schriften beinhaltet. Einige dieser Schriften sind: 1) Die "Schrift zur dreifachen Verehrung" (J. Sanrei-bun) erklärt vom Standpunkt des Mahayana Buddhismus aus die Zufluchtnahme zu den sogenannten Drei Juwelen Buddha, Dharma (die buddhistische Lehre) und Sangha (die buddhistische Gemeinschaft); 2) Die "Schrift zu den [nährenden] Opfergaben" (J. Kuyô-bun) erläutert den Zweck von Opferungen wie bspw. das sich mit Weihrauch auf die Knie fallen lassen und die gleichzeitige Verehrung des Buddhas; 3) Die "Preisung des Tathagata" (J. Nyorai-bai) preist den geheimnisvollen Leib des vollständig Erleuchteten; 4) Die Schrift "Fallende Blumen" (J. Sange), bei der man durch das Verstreuen von Blüten den Raum reinigt und den Bodhisattva Avalokitesvara einlädt. 5) Die "Großen Fürbitten" (J. Daijugan) erwähnen den Zweck der Zeremonie; 6) Mit dem Text "Anrufung des Namens" (J. shômyô) rezitiert man die Buddhanamen, mit denen der Bodhisattva Avalokitesvara gefeiert, angerufen und um Mitgefühl für alle Lebewesen gebeten wird; 7) Mit dem Text "Juwelenname" (J. Hôgo) rezitiert man immer wieder den Namen vom Bodhisattva Avalokitesvara; 8) Die "Schrift zur Verdienstübertragung" (J. Ekô-bun) ist ein zweischichtiger Text, der zum einen das Herz der Buße ausdrückt, zum anderen die während der Buße und Verehrung erworbenen Verdienste auf alle anderen Menschen überträgt.

Ursprünge buddhistischer Zeremonien
Man geht davon aus, daß die Shuni-e auf Bußezeremonien aus dem China des 8. Jh. zurückgeht, da sie strukturell grundsätzlich übereinstimmen. Beachtenswert ist hierbei, daß bei der Anrufung eines Buddhas oder des Bodhisattvas Avalokitesvara zuerst das Wort Namu rezitiert wird. Es heißt soviel wie "Gepriesen sei…" und bedeutet, daß man Zuflucht bei diesem Verehrungsobjekt sucht. Heutzutage wird dieses "Namu" nur noch als "Namu" ausgesprochen, früher jedoch sagte man auch "Namo". Vor ein paar Jahren hat man im Norden Afghanistans buddhistische Gebetschrift aus dem 5. Jh. auf Baktrisch, geschrieben in griechischen Buchstaben, entdeckt und aufgrund solcher Funde weiß man, daß der Ursprung dieses Wortes sehr alt sein muß.
Übrigens ist bei der Unterweisung in der Annotierungen des liturgischen Gesangs, d.h. im Rezitieren selbst, vieles mündliche Überlieferung. Als einzige Richtlinie beim Rezitieren benutzt man eine Art Partitur, die man Hakase, wörtlich: "Doktor" nennt, bei der das Sutra mit Punkten und Linien versehen ist. Im Falle der Shuni-e stammt das älteste noch existente Handbuch zum Ablauf der Zeremonie aus dem 15. Jh.
Die bei den "Übungen der Sechs Stunden" rezitierten annotierten Schriften stehen nicht fest. Je nach Abschnitt der Zeremonie gibt es bei den einzelnen Texten Vereinfachungen, Verkürzungen oder die Art der Rezitation wird verlängert, verkürzt, verlangsamt oder beschleunigt. Zusätzlich zu dem liturgischen Gesang sind auch Glockentöne, die Klänge des Horagu (eine Art "Muscheltrompete") und das Geklapper der Holzschuhe Teil der buddhistischen Musik. Die religiöse Zeremonie ist recht bewegungsvoll und deshalb auch entsprechend anstrengend.


Zusätzliche Zeremonien zur Shuni-e
Außer dem Bußeritual werden allabendlich, zur ersten Nachtwache, zusätzliche Zeremonien ausgeführt. So gibt es z.B. das erfurchtsvolle Lesen des "Verzeichnisses der Namen (einheimischer) Götter" (J. Jinmei-chô), die Gebete des Daidôshi (eine Art Zeremonienmeister) bei der ersten und in der letzten Nachtwache (Gebete um Ruhe im Land, Frieden auf Erden und das Glück der Menschheit) und eine Einladung bzw. Willkomensgrüße an die Vier Himmelskönige und ihre Entourage, ausgesprochen vom Jûshi (etwa: Anrufer, oder: der Fürbittende). Darüberhinaus gibt es noch andere ergänzende Rituale.

Die Aufführung in Berlin
Heute, am 8. Dezember, laut Überlieferung der Tag, an dem der historische Buddha Shakyamuni die Erleuchtung erreicht haben soll, versuchen wir nun auf der Bühne des Hauses der Kulturen der Welt die Situation im innersten Heiligtum der Nigatsu Halle des Todai-ji, wie man sie von hinten sähe, darzustellen und einen Teil der Shuni-e Zeremonie durch die Ausführung von Kulthandlungen und des liturgischen Gesanges vorzustellen.
Aus den verschiedenen Ritualen und Zeremonien haben wir für den ersten Teil die Bußehandlung der ersten Nachtwache und das erfurchtsvolle Vorlesen des "Verzeichnisses der Namen (einheimischer) Götter", für den zweiten Teil die Bußehandlung aus der letzten Nachtwache und die Handlungen des Daidôshi und des Jûshi, sowie die Bußehandlung der Sonnenaufgangswache gewählt.
Ich würde mich freuen, wenn Sie, mit dem Wunsch nach Weltfrieden im Herzen in den religiösen Raum des alten Japans entauchen würden.

Übersetzung und Bearbeitung: Claudia Romberg, M.A.


Autor: Dr. Kosei MORIMOTO, Abt des Oberen Tempelbezirks des Todai-ji-Tempels, Nara/Japan