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Festival of Sacred Music
Begegnungen – Konzerte – Gespräche
Musik, Religion, Ritus und Mystik
in den traditionellen iranischen Kulturen II

Teil II: Kurze Übersicht über die Region Hormozgan
20.12.2002
Buddhismus, Christentum, Harmonie, Islam, Judentum, Kommunikation, Liebe, Mystik, Ritual, Sufismus, Trance
Die Kunst religiöser Erfahrung
Sakrale Musik als Gegenwärtigkeit
und Transzendenz

Die Seele der Welt
Quellen buddhistischen Wissens
Musik, Religion, Ritus und Mystik
in den traditionellen iranischen Kulturen I


Die Provinz Hormozgan befindet sich im Süden Irans an der Küste des Persischen Golfs. Dieses klimatisch sehr heiße Gebiet ist voller Rituale und birgt unendlich viel Geheimnisse. Die Kultur seiner Menschen ist nicht rein iranisch, sie weist auch arabische, indische und afrikanische Züge auf. Dies ist auf die Anwesenheit von Arabern, Indern und Afrikanern zurückzuführen, die aus den benachbarten Ländern und afrikanischen Staaten in diese Region eingewandert sind. Der Einfluss der afrikanischen und der arabischen Kultur ist am ausgeprägtesten.

Der Handel auf dem Seeweg zwischen den südlichen Regionen Irans und seinen benachbarten Ländern hat in den letzten Jahrhunderten einen nachhaltigen Kulturtransfer bewirk. Die Vorherrschaft der afrikanischen Kultur im Vergleich zu den anderen Kulturen hat zwei Gründe: Die häufige Handelsschifffahrt zwischen Iran und Afrika und die Anwesenheit afrikanischer Sklaven in den Küstenregionen Irans. Ein großer Teil der Bevölkerung der südlichen Regionen Irans besteht aus Schwarzen und Mulatten, deren Vorfahren als Leibeigene dorthin verschleppt wurden.
Die Musik aus Hormozgan ist sehr vielfältig und farbenprächtig. Sie hat das materielle und nichtmaterielle Leben der Menschen, deren ganzes Tun und Lassen ritualisiert und gruppenorientiert ist, gänzlich durchdrungen. Das harte und zuweilen unerträgliche Leben in dieser Region hat zur Folge, dass die Menschen zwar eng zusammenleben, jedoch oft mit sich selbst beschäftigt sind. Dieses Mit-sich-selbst-beschäftigt-sein ist die Ursache ihrer Betrübtheit und Niedergeschlagenheit. Viele Bräuche und Sitten sind aus der Misere heraus entstanden, in der sich diese Menschen befinden. Dies gilt auch für die ausufernden Feste und Trauerfeiern. Die Ausführlichkeit, Komplexität und Überlänge ihrer zeremoniellen Bräuche sind nicht anders zu deuten als eine Art Flucht aus der Einsamkeit und das Bedürfnis, mit Menschen gleichen Schicksals zusammenzukommen. So finden sie Trost und können das Gefühl des Alleinseins besser ertragen. Der Glaube an übernatürliche Kräfte bildet einen wesentlichen Teil ihres geschichtlichen Bewusstseins. Die übernatürlichen Kräfte beinhalten, so glauben sie, sowohl das Gute als auch das Böse. Das Gute greift Besitz von Leib und Seele, so dass man mit seiner Hilfe das Böse in Schach halten kann. Ihrer Ansicht nach ist der Kampf zwischen Gut und Böse so alt wie sie selbst. Nach den Vorstellungen dieser Menschen treten die guten und die bösen Kräfte in unterschiedlichsten Formen in Erscheinung. Dämonen und böse Geister sind Kräfte des Bösen; Gott und sein Prophet Mohammed und die Sufi-Meister sind hingegen Kräfte des Guten. Diese Überzeugungen haben ihre Wurzeln in Afrika. Sie haben aber im Laufe der Zeit und bei der Durchquerung islamischer Länder und der südlichen Regionen Irans tiefgreifende Modifikationen erfahren. Die afrikanischen Mythen haben z. T. einen gänzlich islamischen Charakter angenommen.
Die meisten noch heute in den südlichen Regionen des Landes bestehenden Rituale weisen mystische Züge auf. Eine Ausnahme macht der Zar-Brauch, d. h. die Austreibung von Krankheiten. Andere Rituale, wie Noban und Maschayekh in Horzmozgan und Guwati in Belutschistan, weisen wiederum auf sufistische Bekenntnisse hin. Sufi-Meister, wie Abdol-Ghader Gilani, Scheykh Ahmad Refahi, Schahbaz Ghalandar u. a., zählen zu den Geistesgrößen, die sich in der islamischen Welt, von Indien bis Osteuropa, von Zentralasien bis Nordafrika, großer Berühmtheit erfreuen und viele Anhänger haben. Bemerkenswert ist noch der Umstand, dass die mystischen Vorstellungen, die bei bestimmten Bräuchen der Menschen im Süden Irans anzutreffen sind, nicht unbedingt mit den iranischen Kulturen in Verbindung stehen, sondern über arabisch-afrikanische Kanäle diese Regionen erreicht haben.
Abschließend soll der Brauch Molud Khani kurz erläutert werden, den Sie jetzt und hier erleben werden.

Molud Khani
Molud Khani zählt zu den religiösen Zeremonien, die in der Region Hormozgan weit verbreitet sind. Dieser Brauch wird sowohl bei Hochzeiten als auch bei Trauerfeierlichkeiten zelebriert. Die Sänger haben gut klingende Stimmen und genießen großen Respekt und ausgesprochene Berühmtheit bei der Bevölkerung. Die Gedichte, die oft in arabisch vorgetragen werden, werden schriftlichen Quellen entnommen, vor allem dem Handbuch Barzandji, das Imam Djafar Sadegh zugeschrieben wird. Molud Khani wird durch das Tamburin eingeleitet und in Form von Frage und Antwort zwischen dem Solosänger und Chor gesungen. Dieser Brauch wird in den verschiedenen Gegenden von Hormozgan unterschiedlich zelebriert. Die Ausführungsart, die Sie bei dieser Veranstaltung sehen werden, stammt aus Minab, einer Gegend im Norden Hormozgans. Die Verse beginnen mit der Lobpreisung Gottes und seines Propheten Mohammed. Sobald die Darsteller und Interpreten – möglicherweise auch mancher Zuschauer –, in Erregung und Ekstase treten, werden Gedichte zur Verehrung von Sufi-Meistern gesungen, deren Beistand erbeten wird. Die Zeremonie kehrt dann zu der anfänglichen Lobpreisung zurück und findet schließlich mit bestimmten Beschwörungsformeln und ekstatischen Verzückungen ihr Ende.



Autor: Ali-Reza Darwischi