Dienstag, 22. Januar 2002 Heute erhalten wir eine Lehrstunde in indischer Musik. Narayan Mani, der Veenaspieler erklärt, dass ein Instrument wie ein weiteres Familienmitglied zu verstehen ist und dementsprechend behandelt wird. Er spielt vor allem Solokonzerte und begleitet sich selbst mit der Stimme. Alle Teilnehmer konzertierten schon in Europa. Uday Bhawalkar, ein Sänger, lebte in Amsterdam und kommt im Sommer nach London. Er erzählt uns von seinem Studium bei seinem Guru (Lehrer), bei dem er 8 Jahre lebte, für ihn den Haushalt machte, kochte..., dafür aber nichts bezahlen musste. Er ist einer alten Tradition verhaftet, die sich Dhrupad nennt. Sein Guru weckte ihn um 4 Uhr morgens, um den Morgenraga zu singen. Dabei wird eine Stunde auf einem Ton die Stimme aufgewärmt, aber eben variiert, glissandiert, umsungen. Die Verehrung von Meister oder Guru zeigt sich bei der Begrüßung von Ashok Ranade, einem Musikethnologen und wirklichem Meister, wie wir feststellen können. Ihn begrüßt Uday, indem er auf den Boden geht, um seine Füsse zu küssen. Uday stellt uns die Tanpura vor. Einer Sitar ähnelnd, wird sie aufrecht gespielt und dient dazu, dem Sänger die Grundharmonie zu geben. Das Stimmen der Tanpura ist eine Meisterschaft. Die vier Saiten werden gezogen, gedrückt, feingestimmt, verglichen, was alles dem Meister obliegt, obwohl sie dann vom Schüler gespielt wird, in diesem Fall einer Schülerin. Wenn den Musikern etwas besonders Schönes gelingt, geht bei der Zuhörerschaft ein Raunen durch die Reihen, es wird gemurmelt, und vor allem mit dem Kopf gerollt: eine Wissenschaft für sich, denn ihr "ja" wird wie unser "nein" dargestellt. Man muss lange Üben um diese Eigenart zu beherrschen. Nachmittags sprechen wir über unser Konzert am Vortag. Immer wieder kommen wir auf die unterschiedliche Art der Vorbereitung: Wir proben zusammen, studieren ständig neue Stücke ein, kein Stück gleicht dem anderen, wohingegen unsere indischen Kollegen fast ausschließlich mit den ihnen freundschaftlich verbundenen Musikern zusammenspielen, die derselben Schule treu sind und daher keine Proben benötigen. Der Stil, die Stücke sind klar, allen vertraut, alle folgen dem Solisten, meist ein Sänger oder eine Sängerin. Die indischen Musiker sind von unserer Konzentration beeindruckt, was mich überrascht, denn ihre ist wesentlich intensiver für mich. Wer von uns schafft es schon, auf einem Ton in aller Ruhe eine Stunde lang auszuharren? Überhaupt diese Ruhe, dieses bei sich sein: immer mehr kann ich verstehen, warum Leute indophil werden. Trotz des - in unseren Augen - chaotischen Alltags, herrscht eine innere Ruhe, eine Zufriedenheit, von der wir viel mitnehmen können. Wie wir mit dieser Mentalität umgehen werden, ist freilich noch völlig offen, denn sie ist auch nicht so leicht greifbar. So habe ich mich mit einem Musiker verabredet zum gemeinsamen Spielen. Es war mein Wunsch. Trotz der Zusage kam er nicht, auch kein Wort darüber, als wir uns später sahen. Ebenso gab es Teilnehmer, die am Abend ihr Kommen offiziell zusagten, aber am Morgen nicht kamen. Am Telefon danach gefragt, mussten sie umziehen. Wir befragen unsere indischen Kollegen nach dem Zusammenspiel untereinander und erhalten eine sehr interessante Antwort: um mit jemandem zusammenzuspielen, muss er oder sie zuallererst Freund sein, man muss sich kennen und mögen. Nun kann man sich fragen, wo der Unterschied zu uns liegt. Natürlich können wir im Ensemble nicht alle Freunde sein, dafür ist die Gruppe zu groß. Was uns aber verbindet, ist die Art der Musik, sowie das Verständnis für die Art der Arbeit: das gemeinsame Auswählen des Programmes, der Dirigenten... das alles ist bei den indischen Musikern vorgegeben und auch viel hierarchischer.
|