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RASALÎLA - Spiel der Gefühle
Indische Virtuosen treffen aus das Ensemble Modern
Shubha Mudgal - Klassische Khyal-Sängerin und Popstar
08.10.2003
Globalisierung, Kommunikation, Moderne, Tradition
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Shubha Mudgal
Shubha Mudgal Barbara Fahle
In der stark von Demarkationslinien durchzogenen indischen Kulturlandschaft, die zwischen klassisch und populär separieren und in traditionsverhaftete Schulen einteilen, ist Shubha Mugdal eine Ausnahmeerscheinung, die strikte Gegensätze in ihrer Person zu vereinen scheint – sie ist klassische Musikerin, Komponistin und Popstar zugleich und wird als virtuose, kreative und innovative Künstlerin weithin geschätzt. "Meine Musik ist in erster Linie abstrakte, improvisierte klassische indische Musik. Aber ich fühle mich genauso als Frau im Heute und bin neugierig auf andere musikalische Strömungen und Bedürfnisse und kann künstlerisch mit Menschen aus aller Welt in einen Dialog treten."

Geboren 1959 im nordindischen Allahabad, wuchs die Vokalistin in einem musikalisch-literarischem familiären Umfeld auf. Bedeutende Musiker und Musikwissenschaftler wie Ram Ashreya Jha (Allahabad), Vinaya Chandra Maudgalya und Vasant Thakar (Delhi) wurden ihre Lehrer. Sie entwickelte sich zu einer Virtuosin in der klassischen Hindustani Khyal-Gesangstradition und zu einer leidenschaftlichen Forscherin auf dem Gebiet der indischen Volksmusik. Die Übersiedlung in die Hauptstadt Delhi gab ihrer experimentellen Neugier und ihrem unabhängigen Geist starken Auftrieb.

Neben ihrer Karriere als Sängerin etablierte sie sich ebenfalls als Komponistin. Ihre Vertonungen mystischer Gedichte aus der muslimischen Sufi-Überlieferung und rarer hinduistischer Texte wurden von der Kritik hoch gelobt, von Hindu-Traditionalisten beargwöhnt. Landesweite Popularität bescherte ihr das Album "Ali More Angana" mit tanzbarer devotionaler Musik, das zu einem Dancefloor-Hit avancierte. Ein weiteres Resultat: ihre Videos laufen mittlerweile im indischen MTV.

Shubha Mudgal komponiert für Tanz und Ballett und schreibt Musik für Film und TV. Am bekanntesten dürften ihre Kooperationen mit der renommierten Regisseurin Mira Nair bei dem Film "Kama Sutra: A Tale Of Love" oder mit Rajan Khosa bei "Dance of the Wind" sein. Für die Ausstellung „Padshahnama im Britischen Museum in London wurde sie mit der Komposition der Eröffnungsmusik beauftragt. Und natürlich ist Shubha Mudgal mit zahlreichen Preisen und Auszeichnungen bedacht worden. So erhielt sie 1996 den Preis für die beste Musikregie in einem Dokumentarkfilm beim Nationalen Film-Festival von Indien und 2000 den angesehenen Künstler-Orden „Padma Shri“ der indischen Regierung.

Shubha Mudgal über die bisherige Zusammenarbeit mit den Musikern des Ensemble Modern:

"Musikalische Zusammenarbeit ist für den zeitgenössischen Musiker im Grunde nichts Neues. Wir alle haben schon einmal irgendwann den Geschmack der Musik, der Stile und Techniken aus anderen Teilen der Welt gekostet, hatten die Möglichkeit, den unendlichen Strom von Musik, den uns die moderne Informationstechnologie zugänglich macht, bewusst oder unbewusst zu hören, zu akzeptieren oder abzulehnen. Und doch bleibt diese Erfahrung – aus einer Reihe von Gründen – nur peripher, bleibt sie nur eine leichte Bewegung auf der Oberfläche musikalischer Tiefen. Das „Contemporary Xchange“-Projekt gibt mir die Gelegenheit, mich ausführlich der Erkundung musikalischer Systeme zu widmen, die, obwohl sie auf vielen Ebenen unbekannt sind, das unwiderstehliche Versprechen von Abenteuer und Lernen bereit halten.

Wir begannen alle als Zuhörer: Auf einer ihrer Reisen nach Indien nahmen die Musiker des Ensemble Modern an einer eigens für sie organisierten Session indischer Musik teil, auf die eine Sitzung mit Fragen und Antworten folgte. Später wurden wir zu Zuhörern: Im Rahmen eines Workshop führten uns fünf Musiker des Ensembles anhand sorgfältig ausgewählter Beispiele in die zeitgenössische westliche Musik ein.

Die folgenden Treffen, ausführlichen Briefings und zahlreichen CD’s, die uns Sandeep Bhagwati übersendete, brachten uns größere Klarheit. So wurden wir nach und nach zu informierteren Zuhörern, die bereit waren, im Mai 2003 das Ensemble Modern bei seiner Arbeit in Frankfurt zu beobachten. Die Zusammenarbeit mit den Musikern des Ensemble Modern – ihre Offenheit, ihre große Bereitschaft mit uns zusammenzuarbeiten, ihre bewunderswerte Virtuosität – hinterließen bei uns ein Gefühl von Bescheidenheit.

Wenn man zwei Gruppen von Musikern zusammenwirft, fangen sie fast unweigerlich an zu jammen – was manchmal sehr viel Spaß machen kann. Aber eine disziplinierte, detailgenaue Arbeit mit der ausdrücklichen Absicht, einen Raum für Zusammmenarbeit zu schaffen, kann man nur sehr selten finden und zu erleben. Plattenfirmen bringen manchmal zwei oder auch mehr Musiker zusammen, wenn sie glauben, diese besondere Kombination wird ein großer Verkaufserfolg; in ähnlicher Weise unterstützen Eventmanager besondere Kooperationen, wenn sie sich dadurch einen entsprechenden Hype erhoffen. Aber eine Zusammenarbeit, die einen musikalischen Prozess ohne ökonomische Erwägungen unterstützt, ist einmalig. Denn sie ermutigt einen Musiker zu ausführlichen Explorationen, ermutigt ihn, Risiken einzugehen und neue musikalische Sprachen zu schaffen, anstatt sie in eine „Du spielst vier Takte und dann spiele ich vier Takte“-Situation zu bringen, die in erster Linie marktorientiert ist.

Wir tasten uns an das musikalische Vokabular, die Technik und die Grammatik westlicher Musik in dieser Zusammenarbeit langsam heran. Und da es nicht möglich ist, das neue Vokabular im Zeitraum einiger Tage oder einer Woche zu meistern und zu würdigen, befinden sich beide Gruppen von Musikern in einer Situation, in der zwar das Eis gebrochen ist und ein musikalischer Dialog begonnen hat, in der aber beide Seiten noch nicht fließend miteinander „sprechen“ können. Ich anerkenne natürlich die praktischen Schwierigkeiten einer solchen Zusammenarbeit, aber ich möchte doch sagen, dass ich mir mehrere Male gewünscht habe, man hätte mehr Zeit zur gegenseitigen Erkundung und Zusammenarbeit gehabt. Im Endeffekt hatten wir ungefähr zwei Tage eigentlicher Zusammenarbeit mit den Musikern des Ensembles, die eine bemerkenswerte Großzügigkeit und Offenheit gezeigt haben. Aber ich habe das Gefühl, eine längere Interaktion hätte zu einem noch besseren Ergebnis geführt.

Daneben gibt es auch andere, kleinere Probleme, die mit den unterschiedlichen musikalischen Orientierungen der beiden Gruppen zusammen hängen. Für indische Musiker, die überwiegend einer Solistentradition entstammen, stellt die Disziplin, die erforderlich ist, um in einem Ensemble zusammenzuarbeiten, oft ein Problem dar. Ähnlich erstickend kann es sich anfühlen, wenn man eine Komposition endgültig schriftlich festhalten muss, was das Gegenteil der Improvisationstechniken ist, an die indische Musiker gewöhnt sind.

Ich kann ohne Zweifel sagen, dass dieses Projekt meine musikalischen Fähigkeiten enorm bereichert. Gleichzeitig möchte ich aber auch daran erinnern, dass individuelle musikalische Einflüsse in einem musikalischen Werk doch sehr schwer aufzuspüren und zu identifizieren sind. Ein Musikstück ist oft wie ein Teppich, der reich ausgestattet ist mit Farben, Motiven und Darstellungen, die von anderen Kulturen adaptiert und ausgeliehen wurden. Eine sorgfältige Analyse kann unterschiedliche Einflüsse in der feinen Webart eines musikalischen Werkes entdecken, aber letztlich ist es doch immer das Zusammenspiel vieler Fäden, in der die Schönheit liegt. Ich weiß, das, was ich bei diesem Austausch lerne, wird – wenn die Zeit kommt – vor allem meine Arbeit als Komponistin beeinflussen. Aber es wird wohl kein so offensichtlicher Einfluss sein, dass er leicht zu erkennen ist."


Kontakt: Gabriele Stiller-Kern stiller.kern@t-online.de

Audio Shubha Mudgal/Keran Nagarkar: "Meera: Unorthodoxies" (Ausschnitt)